Interpretation

Aufgrund der in den Kapiteln Analyse und Epoche präsentierten Informationen wird im Kapitel Interpretation auf drei wichtige Aspekte der Erzählung der Geschichte von „Parzival“ näher eingegangen: Den vielschichtigen Themenkomplex von Schuld und Sünde, die Frage nach Tugend und Unrecht und die Suche nach dem Heiligen Gral.

Eine lange Reihe an Fragen in Bezug auf diese Themen werden beantwortet: Ist Parzival eine realistische Figur? Welche sind seine Schuld und Sünden? Hat er Schuld am Tod seiner Mutter, an die Schändung Jeschutes oder an der Ermordung seines Cousins Ither? Auch die Mitleidsfrage. die Gründe für Parzivals Verfehlungen, Parzivals Buße und sein Verhalten zu Gott werden detailliert untersucht.

Die Suche nach dem Heiligen Gral wird ausführlich aus verschiedenen Blickwinkeln beschrieben. Die Gralszeremonie und die entscheidende Frage werden unter anderem im dritten großen Komplex behandelt und wie diese von Wolfram dargestellt werden. Ausgehend von dem gesellschaftlichen Ehrenkodex der Ritter, wird der Frage nachgegangen, inwieweit ein tugendhaftes Verhalten in der damaligen Zeit Unrecht wieder gutmachen konnte. Wird Parzival schließlich als Gralskönig ein guter Gralswächter? Alle diese Fragen werden in der vorliegenden Interpretation ausführlich beantwortet, sodass sich ein breites Verständnis in Bezug auf das Epos „Parzival“ von Wolfram von Eschenbach entwickelt. Für ein leichteres, effektiveres Arbeiten und neue Ideen!

Parzival - eine realistische Figur

Parzival ist auf den ersten Blick überraschend menschlich und mit einigen Schwächen ausgestattet. Er ist in Bezug auf die mittelalterliche Literatur in besonderem Maße nicht ideal, dafür aber sehr menschlich gestaltet, denn er hat sowohl positive als auch negative Eigenschaften.

Dies wird von Wolfram sofort zu Beginn der Erzählung im Prolog in dem Elsterngleichnis zum Ausdruck gebracht. Der Autor äußert sich dahin gehend, dass es nicht nur gute und böse Menschen gibt, sondern auch den Typ Mensch, der sowohl gute als auch schlechte Seiten in sich vereint: „Verbindet sich – wie in den zwei Farben der Elster – unverzagter Mannesmut mit seinem Gegenteil, so ist alles rühmlich und schmachvoll zugleich.“ (I, S. 8).

Wirklich zweifarbig ist der Halbbruder Parzivals, Feirefiz, der Parzival von Cundry aber als ein Beispiel für untadeliges Verhalten vorgehalten wird. Auf der anderen Seite glänzt er durch sein Verhalten, hat aber aus christlicher Sicht den Makel, da er zunächst nicht getauft ist.

Mit seiner Personenkonzeption des Parzivals wendet sich Wolfram gegen den unrealistischen Heldentypen vieler mittelalterlicher Werke, wie zum Beispiel bei Hartmann von Aue, und erschafft eine möglichst realistische Figur. So kann sich der Leser mit dieser Figur besser identifizieren.

Parzivals Schuld und Sünden

Man spricht dann von Schuld, wenn jemand etwas Negatives durch seine Handlungen verursacht. Aus gesellschaftlicher und damit auch aus weltlicher Sicht hat er mit seinem Handeln gegen die gültigen moralischen Werte verstoßen. Als Sünde bezeichnet man eine solche Handlung, die gegen religiöse Gesetze oder Gebote verstößt. Diese Unterscheidung ist deshalb wichtig, da Parzivals Handlungen teilweise aus weltlicher, teilweise aus religiöser Sicht bewertet werden.

Die Schuld Parzivals ist ein wichtiger Aspekt der Erzählung und hat ganz konkrete Gründe. Er wird von seiner Mutter Herzeloyde von der höfischen Welt ferngehalten und abseits der Zivilisation von ihr erzogen. Er wächst gut behütet im Wald auf, ohne die Welt der Königshöfe und der Ritter zu kennen. Daher weiß er auch nicht, was ritterliche Tugenden sind. Auch seine religiöse Erziehung erfolgt nur sehr oberflächlich. Grund dafür ist, dass Herzeloydes „Herz [...] voll Trauer um den verlorenen Gatten“ (III, S. 202) ist und sie Parzival von der höfischen Welt und ihren Gefahren fernhalten will.

Parzival begeht aus weltlicher und religiöser Perspektive mehrere Sünden und macht sich dadurch schuldig. Doch seine Taten geschehen nicht aus Boshaftigkeit, sondern aus Unwissen oder unangemessenem Verhalten in bestimmten Situationen. Man muss im Parzival immer zwischen der Tat- und der Versäumnisschuld, zwischen den wissentlich und den unwissentlich verübten Taten und den willentlich und den unwillentlich verübten Taten unterscheiden.

Auffällig ist hierbei, dass Parzival nicht in der Lage ist, seine Schuld und seine Sünden selbstständig zu erkennen. Personen, wie Gurnemanz, Sigune, Cundry oder Trevrizent, müssen ihm seine Verfehlungen deutlich vor Augen halten. Auch sein Verhalten in der Nähe des Grals muss ihm genau erklärt werden.

Parzival zeigt damit auf, dass er nicht in der Lage ist, aus sich selbst heraus korrekt zu handeln und sein Handeln aus weltlicher und religiöser Perspektive selbstständig richtig zu bewerten. Um dies zu verdeutlichen, sollen vier Momente, in denen Parzival sich schuldig macht oder sündigt, detailliert betrachtet werden, um die Frage nach Schuld und Sünde genauer zu erläutern. 

Parzivals Schuld am Tod seiner Mutter

Herzeloyde zieht sich nach dem Tod ihres Mannes Gahmuret aus der höfischen Welt zurück und erzieht ihren Sohn Parzival in der Einöde Soltane (III, S. 203). Damit will sie ihn „vor den Gefährdungen der Welt“ (III, S. 203) schützen. Sie verbietet ihren Bediensteten, mit Parzival „über Ritter zu sprechen, wenn ihnen ihr Leben lieb wäre“ (III, S. 203). Eines Tages aber trifft Parzival im Wald auf vier Ritter, die er zuerst aufgrund ihrer glänzenden Rüstung für Götter hält. Sie verfolgen zwei Ritter, die eine Jungfrau entführt haben (III, S. 209).

Einer der Ritter heißt Karnachkarnanz und erklärt dem jungen Parzival seine Ausrüstung und das Leben am Hofe. Als dieser daraufhin begeistert seiner Mutter von dieser Begegnung und seinem Vorhaben erzählt, von König Artus zum Ritter geschlagen zu werden, wird sie ohnmächtig (III, S. 217). Herzeloyde weiß sich nur noch so zu helfen, dass sie Parzival mit einem erbärmlichen Gaul und einem Narrenkostüm dem Spott der Mitmenschen aussetzt (III, S. 219): „Wird er dann gezaust und verprügelt, findet er sicher zu mir zurück“ (III, S. 219). Nachdem sie ihm einige Ratschläge gegeben hat (s. weiter unten), lässt sie ihn ziehen. Doch „der Schmerz zerriß ihr Herz unbarmherzig, so daß sie starb“ (III, S. 221).

Parzival ist damit schuld am Tod seiner Mutter, ohne diesen bewusst verschuldet zu haben, da er nichts von den Hintergründen seines Lebens in der Einöde erfahren hat. Er wird diese Schuld erst von seinem Onkel Trevrizent erfahren (IX, S. 117), der ihm auch mitteilt, dass er dafür Buße tun muss (IX, S. 117: „Folge meinem Rat und tu Buße für deine Missetaten!“). 

Die Schändung Jeschutes

Bevor Parzival von seiner Mutter aufbricht, erteilt sie ihm den Ratschlag, dass er zugreifen soll, wenn er „von einer edlen Frau Ring und freundlichen Gruß erringen [kann]“ (III, S. 219). Doch damit ist Parzival in keiner Weise aufgeklärt, sodass sein Verhalten schon bald für viel Kummer sorgen wird. Nachdem er aufgebrochen ist, durchquert er den Wald von Briziljan, in dem er ein kostbares Zelt erblickt. Darin liegt Jeschute, die Frau von Herzog Orilus von Lalant (III, S. 223).

Parzival erblickt einen Ring an ihrer Hand und springt in ihr Bett. Obwohl sich Jeschute wehrt und sehr entrüstet über dieses Verhalten ist, zwingt Parzival sie zu einem Kuss und stiehlt ihren Ring sowie eine Brosche. Danach stillt er seinen Hunger mit dem Essen, das in den Zelt ist, und küsst Jeschute ein zweites Mal gegen ihren Willen, bevor er sie verlässt.

Man erkennt, dass Parzival sich seiner Verfehlung nicht bewusst ist. Auf die Drohung Jeschutes hin, dass er den Zorn ihres Mannes Orilus fürchten muss, wenn dieser...

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