Handlung
Wolfgang Koeppen springt in seinem Roman "Tauben im Gras" von Ort zu Ort von Zeitpunkt zu Zeitpunkt. Das macht die Analyse interessant, erschwert aber auch das Verständnis der Handlung. Orte und Zeit bilden zwei mögliche Anhaltspunkte, um eine Ordnung in den Handlungsverlauf zu bringen.
Resümee
„Tauben im Gras“ ist der erste Roman der Nachkriegstrilogie „Trilogie des Scheiterns“. Das gemeinsame Thema der Romantrilogie ist die westdeutsche Gesellschaft in den ersten Nachkriegsjahren. „Tauben im Gras“ ist ein Titel, der von Koeppen bewusst gewählt wurde. Er deutet auf die Zufälligkeit des Geschehens als zentrale Aussage hin. Koeppen verwendet dieses Bild auch im Laufe seines Romans. Er vergleicht Menschen mit den Tauben, die ziellos auf Plätzen umherirren. Der Roman besteht aus etwa 105 kurzen und längeren Abschnitten oder Sequenzen. Sie präsentieren ein Panorama des westdeutschen Nachkriegsalltages und der Nachkriegsgesellschaft, einen Querschnitt durch die verschiedensten sozialen Schichten und Schicksale. Sie zeigen eine Gesellschaft in einer Umbruchphase zwischen Zerfall und Neuanfang zu einer Zeit, in der trotz amerikanischer Finanzhilfen und Währungsreform noch großer Mangel an Arbeitsplätzen, Nahrung und Wohnungen herrscht.
„Tauben im Gras“ erschien 1951 und erzählt die Geschichte eines einzigen Tages in einer unbekannten Großstadt in der amerikanischen Besatzungszone in Deutschland in den ersten Jahren des Wirtschaftswunders. Der Tag ist, wie man mithilfe der Schlagzeilen feststellen kann, der 20. Februar 1951. Das Besondere dieses Romans ist das Fehlen einer Zentralfigur. Vielmehr begegnet dem Leser in „Tauben im Gras“ eine bunte Schar unterschiedlicher Nebenpersonen und mehrere scharf umrissene Hauptpersonen. Durch eine wechselnde und somit verwirrende Anordnung von Handlungssträngen werden sehr viele Figuren in den Blick genommen. Über dreißig Personen mit verschiedensten Einstellungen und Hintergründen treffen aufeinander oder gehen aneinander vorbei. Deren Erlebnisse und Schicksale sind auf unterschiedlichste Art miteinander verbunden, und deren Handlungen und Begegnungen scheinen weitgehend vom Zufall bestimmt zu sein.
Um die ungewöhnlich große Zahl der Personen und Schauplätze in einen engen zeitlichen Rahmen und in einen Handlungszusammenhang zu bringen, ist der Roman in kurze Erzählsequenzen strukturiert, die im Durchschnitt nicht mehr als zwei Seiten umfassen und die nur auf eine Person oder auf einen Personenkreis zentriert ist. Mit jeder Erzählsequenz wechselt die Perspektive.
Der Autor verzichtet in seiner Beschreibung auf eine zentrale Handlung und stellt auch kein Einzelschicksal in den Vordergrund. In der Geschichte gibt es keinen einzelnen Helden, stattdessen treten eine Reihe von Personen auf. Vom alternden Schauspieler Alexander über das bigotte Kindermädchen Emmi, dem an sich selbst zweifelnden Schriftsteller Philipp, der latent faschistischen Frau Behrend, der verarmten Kommerzienratserbin Emilia bis hin zum amerikanischen Besatzungssoldaten Odysseus enthält der Roman etwa dreißig Figuren mit unterschiedlichen Geschichten. Nur wenige von ihnen sind tief entwickelte Charaktere. Die vielfältigen Nebenpersonen dienen dazu, Beziehungen und Übergänge zwischen den Handlungssträngen herzustellen, indem sie mit den Hauptfiguren auf verschiedene Weise in Verbindung kommen.
Aus dem Blickwinkel der Figuren und des Erzählers werden die Ereignisse abwechselnd geschildert. Der Verfasser beschreibt, wie die Charaktere sich begegnen und einander behandeln, sich mit der Vergangenheit und der Gegenwart auseinandersetzen und diese bewältigen. Der Roman handelt hauptsächlich von ihren existenziellen Sorgen, Ängsten und Nöten. Viele dieser Menschen kommen mit ihrer heutigen Welt nicht zurecht und suchen wie Emilia, die sich häufig betrinkt, um ihre Situation zu vergessen, Zuflucht durch Alkohol, Drogen, Sex oder Schlafen, um überhaupt überleben zu können. Träume und Wunschgedanken spielen somit eine wichtige Rolle und dienen den Romanfiguren als ermutigender Realitätsersatz.
Sowohl Prolog als auch Epilog und die eingebauten Schlagzeilen, Radiomeldungen und Zitate stellen die weltpolitische Lage dar. Auf der einen Seite gibt es zwar die Hoffnung auf einen Neuanfang nach den ersten Anzeichen eines wirtschaftlichen Aufschwungs, auf der anderen Seite droht aber die Gefahr eines dritten Weltkriegs. Der Frieden ist erneut durch ideologische Gegensätze und durch weltpolitische Konflikte gefährdet. Als Koeppen „Tauben im Gras“ schreibt, ist der Ost-West-Konflikt auf einem Höhepunkt. Im Juni 1950 hat mit der Überschreitung des 38. Breitengrades der Koreakrieg begonnen. Neben diesem Krieg sorgen die Stationierung amerikanischer Bomber, die internationalen Spannungen durch die Verstaatlichung der iranischen Erdölindustrie, die Aufrüstung, die Politisierung, der Ost-West-Konflikt und die Atom- und Wasserstoffbombenversuche der Großmächte für eine starke Beunruhigung...