Dreiecksbeziehung

Die konstruierte Liebesgeschichte

Denkt man an J. W. Goethes „Die Leiden des jungen Werther“, so fällt einem womöglich zunächst das Thema der unerfüllten Liebe ein. In Plenzdorfs Roman ist dies nicht unbedingt das zentrale Thema. Es wirkt in dem Roman stellenweise beinahe so, als sei die Liebesgeschichte konstruiert worden, um eben die Parallelen zu Goethes Briefroman zu verdeutlichen.

Der Titel des Romans und die Namen der Figuren geben Hinweise auf den Zusammenhang zwischen den zwei Werken: Edgar W. trägt einen Nachnamen, der auf dem gleichen Buchstaben wie Werthers Vorname beginnt, Charlies Name ist eine Kurzform für Charlotte, genau wie Lottes Name aus „Die Leiden des jungen Werther“. Und es lassen sich viele weitere, clever konstruierte Parallelen und Ähnlichkeiten zwischen den Werken feststellen (vgl. Analyse: Vergleich: „Die neuen Leiden des jungen W.“ und „Die Leiden des jungen Werther“). 

Plenzdorfs moderne Version von W. und Charlie statt Werther und Lotte fehlt es jedoch an Tiefe. Beispielsweise fühlt sich Edgar sofort von Charlie angezogen, als er sie kennenlernt – warum, wird allerdings nicht genau beschrieben, abgesehen davon, dass ihre Augen, die wie „Scheinwerfer“ (S. 54) sind, ihn faszinieren. Goethes Werther wird dagegen von Anfang an neben Lottes Aussehen z. B. auch von ihrer Wesensart, ihrer mütterlichen Art ihren Geschwistern gegenüber und ihrem Interesse an der Literatur angezogen und er beschreibt diese Dinge seinem Freund Wilhelm in einem Brief.

Die undurchschaubare Charlie

Charlie scheint für die beiden jungen Männer, Edgar und Dieter, Zuneigung zu verspüren. „Charlie hing an Dieters Arm. Den anderen gab sie fast sofort mir“ (S. 78) – durch diese Szene werden ihr anscheinender Zwiespalt und ihre Anziehung auf die beiden jungen Männer verdeutlicht. Edgar ist davon überzeugt, dass Charlie gut zu ihm passen würde, und glaubt, dass sie auch für ihn sehr schnell starke Gefühle entwickeln könnte. Als sie ihm z. B. den Lohn für seine Arbeit im Kindergarten vorbeibringt, glaubt er, sie habe diesen aus eigener Tasche bezahlt, nur um ihn wiederzusehen (vgl. S. 52). Ob er damit Recht hat, erfährt der Leser nicht, denn die Handlung wird nur aus Edgars Perspektive erzählt.

Vielleicht ist Charlie einfach eine Frau, die sich in ihrer stabilen Beziehung mit einem biederen Mann ein wenig langweilt und ein Abenteuer sucht. Insofern könnte man ihr vorwerfen, dass sie einen verliebten Teenager dafür missbraucht, ihren Alltag abwechslungsreicher zu gestalten und sich einen rebellisch...

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