Rezension

Eine Liebesgeschichte zwischen einem Adeligen und einer Bürgerlichen, die in einer großen Tragödie endet, das klingt nach einem oft behandelten literarischen Thema. In Fontanes Roman „Irrungen, Wirrungen“, der die Affäre des Barons Botho von Rienäcker und der Wäschestickerin und Plätterin Lene Nimptsch erzählt, bleibt die Katastrophe am Ende jedoch aus. 

In „Irrungen, Wirrungen“ sieht die große Liebe zwischen Lene und Botho letztendlich nach nicht viel mehr als einer Verirrung aus. Die Narben auf den Seelen der Protagonisten scheinen kaum noch  Bedeutung zu haben – nur der Leser kann sie deuten. Beide Charaktere fügen sich letztendlich ihrem Schicksal, finden standesgemäße Ehepartner und führen ein „ordentliches Leben“. Dass Lene ihren Gideon nur aus einem Sicherheitsbedürfnis heraus heiratet und Botho von seiner Quasselstrippen-Cousine und Ehefrau Käthe zu Tode gelangweilt wird, interessiert kaum jemanden in einer Welt, in der es hauptsächlich um die Einhaltung von Konventionen geht.

Früher als Hurengeschichte diffamiert, führt der Roman beim heutigen Leser zu einem schlechten Gefühl aufgrund der gesellschaftlichen Segregation zwischen den Ständen in dem Preußischen Kaisertum Ende des 19. Jahrhunderts. Doch man spürt auch den Wandel kommen, denn in der Erzählung  wird ein erstarktes Bürgertum präsentiert, neben dem alten Adel, der wirtschaftlich und politisch schwächelt.

Fontane als Vertreter des bürgerlichen Realismus beschreibt eine weibliche Hauptfigur, kleinbürgerlich und doch beinahe proletarisch, die moralisch über den gesellschaftlich Höhergestellten steht. Lenes Ehrlichkeit, Pragmatismus, Stärke und Offenheit, dazu das Fehlen falscher Koketterie, machen sie zu einer unanfechtbaren Sympathieträgerin. Gleichzeitig sehen wir mit Erstaunen in dem Baron Botho einen liebevollen, aber schwachen Mann, der sich den Anforderungen, die seine Familie und sein Stand an ihn stellen, beugt und dafür sein Glück aufgibt.

Doch Fontanes Realismus ist nicht nur politisch-bürgerlich, er ist auch poetisch. „Irrungen, Wirrungen“ ist eine Zeitreise ins Berlin der 1870er Jahre. Detailgetreu hat Fontane die Umgebung, die Stimmung und die Mentalitäten der damaligen Gesellschaft in seinem Romans eingefangen und wiedergegeben. Dafür bedient er sich durchgehend des von ihm selbst so benannten Stilmittels der Verklärung, um das bürgerliche Milieu zu veranschaulichen.

Und so ist es eine Wohltat, sich in Dörrs Garten zu begeben, dem Hund Sultan dabei zuzusehen, wie er die Nachbarhunde jagt, und der Frau Dörr beim Plaudern mit der alten Nimptsch zuzuhören. Nur unterschwellig scheint durch, dass das Leben für Lene & Co. tatsächlich harte Knochenarbeit bedeutet. Die Bilder, die hängenbleiben, sind solche von Leuchtkäfern im Garten, von den Silberpappeln und der zauberhaften Atmosphäre, in der eine Herzensbindung möglich wäre, aber zuletzt scheitert.