Merkmale der Postmoderne im Werk

Wahrheit und Zufall

Die literarische Postmoderne bezeichnet eine Strömung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die die Epoche der Moderne ablöst. Der Begriff „Postmoderne“ ist in Bezug auf seine zeitliche Ansetzung und seine Inhalte umstritten, denn eine tatsächliche postmoderne Theorie existiert nicht. Die Autoren sind nicht durch eine Gruppierung oder ein Programm miteinander verbunden.

Nach der Nazizeit, dem Zweiten Weltkrieg und später noch einmal nach dem Mauerfall wollen die postmodernen Schriftsteller das Gefühl des Sinnverlustes verdeutlichen. Die postmodernen Autoren verarbeiten die Erfahrung, dass der Mensch keinen Platz mehr in der modernen Welt findet, sondern, nach sinnstiftenden Rollen und Lebensmodellen suchend, durch die Welt irrlichtert. Die Welt ist zu vielschichtig und zu schwer zu durchschauen, weswegen es dem Menschen nicht mehr möglich ist, die Realität zu erfassen und sich auf die eine Wahrheit festzulegen.

Dies trifft auch auf die Welt von Schlafes Bruder zu, wenn der strenggläubig erzogene Protagonist Elias feststellen muss, dass ihm seine geliebte Cousine Elsbeth eben nicht, wie von ihm sein Leben lang vermutet, von Gott „seit Ewigkeit vorbestimmt“ (S. 38) ist. Als Figur ringt Elias Alder daher auf der Handlungsebene mit dem planenden (Schicksals-)Gott, den ihm die römisch-katholische Kirche von klein auf gepredigt hat, und verflucht ihn später sogar (vgl.: S. 144). Die eigentliche Gottesfigur des Romans auf der Erzählebene jedoch ist der Zufall, der blindlings einen intelligenten Ausnahmemusiker in ein abgeschottetes Bergdorf voller ungehobelter Bauern wirft, wodurch jede Suche nach Sinn und Wahrheit im Leben des Protagonisten von Anfang an sabotiert wird.

Fortschrittsskepsis und Heldenfigur

Hinzu kommt eine deutliche Fortschrittsskepsis, da diejenigen wenigen Vertreter des Fortschritts, die ihren Weg in das Bergdorf Eschberg finden – die bessere Verkehrsanbindung (vgl.: S. 154), Herders philosophische Schriften (vgl.: S. 156), der gebildete Cantor Goller (vgl.: S. 161) – weder der Dorfgemeinschaft als Ganzer noch dem Protagonisten Elias Alder zur anhaltenden Verbesserung der Lebensverhältnisse verhelfen. Im Gegenteil: Eschberg stirbt trotz besserer Anbindung nach drei Großbränden aus (vgl.: S. 10), der Köhler Michel irrt nach der Lektüre Herders auf seiner jahrelangen Odyssee durch halb Europe (vgl.: S. 156 – 159) und Cantor Goller trägt durch seinen Neid auf Elias als seinen musikalischen „Rivalen“ (S. 164) zu dessen Untergang bei.

In der Postmoderne verschieben sich die thematischen Schwerpunkte, und zwar weg von den großen Erzählungen hin zu kleinen Erzählungen – wie zu denen des Lebens von Schlafes Bruders Protagonisten Elias – auf die individuelle Ebene mit einer bestimmten Wertevorstellung. Bei den Figuren im postmodernen Roman bleibt von der sympathischen des Protagonisten früherer Literaturepochen kaum mehr etwas übrig. Der Protagonist bietet nur noch ein geringes Identifikationspotenzial und es handelt sich bei ihm oft um einen gesellschaftlichen Außenseiter.

Auch dies ist bei Elias eindeutig der Fall: Als ein durch se...

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