Die zwei Königinnen
Die privilegierten Frauen
In den meisten mittelalterlichen Epen spielen Frauen eine eher nebensächliche Rolle, sind oft das Objekt der Minne des Helden. Anders verhält es sich hier im Nibelungenlied, in dem mit Kriemhild und Brünhild gleich zwei starke weibliche Charaktere eine Hauptrolle einnehmen.
Das Bild der Frau hat sich zwischen der Entstehung der Nibelungensage und ihrer Verschriftlichung zu Beginn des 13. Jahrhunderts durch die Jahrhunderte hindurch erheblich verändert. Bei den Germanen haben Frauen offenbar eine höhere Stellung und mehr Selbstständigkeit als später im Hochmittelalter genossen.
Die Gesellschaft im Mittelalter ist patriarchalisch organisiert, die Männer dominieren die Politik und Gesellschaft, die Frauen sind ihnen untergeordnet. Gewöhnlich hat eine Frau im Mittelalter einen männlichen Vormund. Dieser ist zuerst der Vater – oder in dessen Abwesenheit ein anderer männlicher Verwandter –, später der Ehemann (siehe auch dazu Epoche – „Das Leben der Frau”). Daher muss man hinzufügen, dass die beiden Frauen im Werk, Kriemhild und Brünhild, als Prinzessin und Königin nicht repräsentativ für die Lebensbedingungen einer gewöhnlichen Frau des Mittelalters sind, da es sich zu jener Zeit bei 90 Prozent der Bevölkerung um unfreie Bauern handelt.
Die isländische Königin Brünhild und die Prinzessin Kriemhild von Worms sind privilegiert. Sie genießen einen hohen Status, Macht und Reichtum und haben die Möglichkeit, ihr eigenes Leben weitgehend selbst zu gestalten. Sie sind beispielsweise beide sehr wählerisch bei der Wahl ihres Bräutigams.
Kriemhilds Blütezeit
Die schöne Prinzessin Kriemhild stellt hohe Ansprüche an den Prinzen, den sie heiraten würde: Er soll zuallererst intelligent sein und man soll es ihm auch ansehen: „Er solle von der Natur mit Schönheit, Güte, mit einem unbeugsamen Charakter, mit Kraft und Temperament ausgestattet sein“ (S. 18). Natürlich soll er auch reich sein, reicher als die Burgunden und darüber hinau...