Textinterpretation
Die Einleitung des Romans (Kapitel 1) beginnt im Redaktionsbüro der Schülerzeitung „Ente“, deren Chefredakteurin Laurie Saunders ist. An diesem Ort ist es den Schülern bzw. zumindest den Redakteuren möglich, ihre Meinung frei zu äußern. Man kann also feststellen, dass schon zu Anfang das zentrale Thema des Romans angeschlagen wird. Die freie Meinungsäußerung schwebt quasi innerhalb des Romans über den Figuren und führt häufig zu Konflikten zwischen den Welle-Unterstützern und den kritischen Stimmen gegen die Bewegung. Somit ist sie von enormer Bedeutung für den gesamten Roman. Die Unvereinbarkeit von freier Meinungsäußerung und kollektivem Zwang wird von Morton Rhue geschickt herausgearbeitet.
Es kann gewissermaßen als Leitmotiv betrachtet werden, dass der Erzähler immer dann, wenn die freie Meinungsäußerung in Gefahr gerät oder ein Konflikt zu eskalieren droht, in das Redaktionsbüro der „Ente“ zurückkehrt. Diesem Ort steht der Geschichtsunterricht von Ben Ross entgegen. Dieser ist es nämlich, der die Meinungsfreiheit stark gefährdet, indem er das Kollektiv zur wichtigsten Maxime überhaupt ernennt. Die Welle schränkt das Grundrecht definitiv ein.
Der eigentliche Konflikt erwächst jedoch aus der Thematik des Nationalsozialismus. Geschichtslehrer Ben Ross kann seinen Schülern nicht nachvollziehbar erklären, aus welchem Grund die deutsche Bevölkerung sich gegen Hitler nicht zur Wehr gesetzt hat. In ihm keimt die Idee eines Experiments auf. Er sammelt alle Merkmale, die seiner Meinung nach den Kern des Nationalsozialismus ausmachten, und gründet eine Bewegung: die Welle. Auf diese Weise will er bei seinen Schülern ein besseres Verständnis für die damaligen Verhältnisse wecken.
Es sind die spezielle Grußformel, das Wellen-Symbol und die Mitgliedskarten, die den faschistischen Charakter herausarbeiten und symbolisieren sollen. Am plakativsten sind jedoch die Glaubenssätze „Macht durch Disziplin“, „Macht durch Gemeinschaft“ und „Macht durch Handeln“, die eine Ideologie vermitteln und das faschistische Bewusstsein nachahmen sollen. Die Schüler sollen diese mehrmals täglich wiederholen und ihnen entsprechend handeln, was ein Großteil von ihnen auch verinnerlicht. Die Leitsätze und das damit verbundene Streben nach Macht und Gemeinschaft erheben das Kollektiv über die persönliche Freiheit und somit auch über die freie Meinungsäußerung. Am wichtigsten ist das Gefühl, Teil einer Gruppe zu sein. Die eigenen Bedürfnisse werden hinten angestellt, das gesamte Handeln wird der Gruppe gewidmet. Somit nähert sich Ben Ross dem faschistischen Charakter des Hitler-Regimes an und erschafft Symbole, die denen der nazistischen Massenpropaganda ähneln. Auch hier gab es einen eigenen Gruß und ein Symbol, das Uniformen und Gebäude „zierte“ und als Mitgliedsbestätigung diente.
Das Bildnis der Welle verleiht nicht nur der von Ross ins Leben gerufenen Bewegung ihren Namen, sondern auch dem Roman. Der Geschichtslehrer hat sich deshalb für dieses Sinnbild entschieden, weil die Welle seiner Meinung nach Wucht, Bewegung und Richtung in sich vereint. Der Einzelne wird von der Welle fortgetragen, einem bestimmten Ziel entgegen, das die Gruppe bestimmt. Kommt die Welle auf jemanden zu, kann er kaum Widerstand leisten. Sie ist schlicht zu kraftvoll.
Durch den Fakt, dass sich alle Einzelnen der Gruppe unterordnen, gewinnt sie mehr und mehr Macht. Aus diesem Machtgefühl resultiert auch der Glaube, man könne und dürfe gegen alles vorgehen, was sich der Welle und ihren Maximen entgegenstellt. Andersdenkende und Schüler, die sich weiterhin auf ihren freien Willen und die freie Äußerung ihrer Meinung berufen, werden bedroht und massiv unter Druck gesetzt. Die Jugendlichen, die bisher ihren Alltag al...