Faschismus
Der Klappentext der deutschen Ausgabe der Welle beginnt mit der Frage: „Wie entsteht Faschismus?“ Um feststellen zu können, ob es sich bei der Welle tatsächlich um eine Art faschistische Bewegung handelte, ist es lohnenswert, sich zunächst die Merkmale des Faschismus bzw. des NS-Staates vor Augen zu führen.
Faschistische Bewegungen zeichnen sich vor allem durch die Verabsolutierung der eigenen Interessen sowie die streng hierarchische Ausrichtung (Führerprinzip) aus. Weitere Merkmale sind die völlige Kontrolle über den Staat und die Gesellschaft sowie die einheitliche „Volksgemeinschaft“. Innere Spannungen werden entweder verklärt oder geleugnet.
Den faschistischen Staaten fehlen die Merkmale der Demokratie und die parlamentarische Verfassung, Minderheiten und Andersdenkende werden konsequent ausgegrenzt oder dafür verwendet, Konflikte auf sie abzuwälzen. Die Mitglieder faschistischer Bewegungen zeichnen sich durch erhöhte Gewaltbereitschaft und Aggressivität aus, die politische Überzeugungsarbeit wird ebenfalls mithilfe von Kampf, Propaganda oder notfalls Gewalt geleistet. Die politischen Gegner werden gezielt eingeschüchtert, ausgeschaltet oder durch den Überwachungsapparat unterdrückt.
Obwohl die von Ben Ross ins Leben gerufene Welle keinerlei politische Ziele verfolgt, lassen sich durchaus Parallelen zu den faschistischen Bewegungen ziehen. Die erste Übereinstimmung besteht aus dem klaren Führerprinzip und der hierarchischen Rangordnung: Geschichtslehrer Mr. Ross ist ganz klar der Initiator und Anführer der „Gesellschaft“. Er erteilt Befehle, die von den Schülern unhinterfragt befolgt werden.
Im Verlauf des Romans ändert sich diese Dynamik jedoch etwas. Es existieren plötzlich Befehle, die Ben niemals erteilt hat. Dennoch halten sich alle Mitglieder daran und Mr. Ross ist sich im Unklaren darüber, woher die Verhaltensregeln eigentlich kommen. Direkt unter Ben Ross steht, zumindest seit dessen Bitte darum, Robert Billings als sein Leibwächter. Erst danach kommt die restliche Gefolgschaft in Form der anderen Wellen-Mitglieder. Auch in puncto Propaganda und Massenkult eifert die Welle faschistischen Staaten nach: Es gibt ein Symbol (eine Welle), welches sich auf Fahnen und Postern finden lässt.
Ebenso führt Ben Ross einen speziellen Gruß sowie gelbe Mitgliedskarten ein, die die Zugehörigkeit zur Gruppe kennzeichnen sollen. Die Bewegung der Welle breitet sich überaus schnell aus, vor allem deshalb, weil alle Mitglieder dazu angehalten werden, ständig neue Anhänger zu rekrutieren. In einem anonymen Brief, den Laurie im Redaktionsbüro der „Ente“ findet, wird deutlich: Schüler, die sich der Welle nicht anschließen möchten, werden von aktiven Mitgliedern massiv bedrängt und eingeschüchtert, um deren M...