Momos Vater
Der verschlossene Vater
Momos Vater ist ein mürrischer, schweigsamer, verschlossener und melancholischer Mann „mit einem grauen Gesicht“ (S. 44), der allein mit seinem Sohn Moses in einer großen Wohnung in der Rue Bleue in Paris lebt. Er ist Rechtsanwalt und arbeitet viel, aber sowohl auf privater als auch beruflicher Ebene hat er keinen Erfolg.
In einem geerbten Bücherschrank bewahrt sein Vater viele wertvolle Bücher auf, „die angeblich die Quintessenz des menschlichen Geistes enthielten, Gesetzeskladden, den Scharfsinn der Philosophie“ (S. 26). Doch die Fensterläden dürfen nicht geöffnet werden, damit das Licht den Einbänden nicht schadet. So ist die Wohnung auch ein Sinnbild von Momos Innenwelt und seiner schlechten Beziehung zu seinem Vater: „dunkel, leer und ohne Liebe“ (S. 10).
Moses stellt für den Vater lediglich eine Belastung und einen Störfaktor dar. Er darf in der Wohnung dann nicht das kleinste Geräusch machen, wenn sein Vater arbeitet, und steht dadurch unter ständigem Druck: „Arbeiten, das war das allgewaltige Wort, das alles rechtfertigte…“ (S. 27).
Der Vater ist nicht gewillt, sein umfangreiches Wissen mit seinem Sohn zu teilen. Auch von seiner Vergangenheit gibt er nichts preis, was ihm auf emotionaler oder intellektueller Ebene seinem Sohn näherbringen könnte. Seine lehrerreichen Bücher wirken daher auf Momo nicht wie der Quell des Wissens, sondern sind für ihn tot und stehen wie Barrikaden zwischen ihm und seinem Vater.
Ein Rechtsanwalt ohne Frau und Fälle, aber mit einem perfekten verschollenen Sohn
Die Lebensanschauung des Vaters verkörpert sich in der „Einbahnsparbüchse“ (S. 9), die er seinem Sohn schenkt: „Geld ist zum Horten da, nicht zum Ausgeben.“ (S. 9). Doch trotzdem kann er selbst nicht mit Geld umgehen, denn als er die Übersicht über seine Finanzen verliert, verdächtigt er zu Unrecht seinen Sohn, ihn zu bestehlen, obwohl sich dieser zuverlässig neben der Schule auch um den gesamten Haushalt und die Einkäufe kümmert (S. 10). Da Moses für seine viele Arbeit im Haushalt keinerlei Anerkennung von ihm erhält, fühlt er sich „mehr als der Sklave als der Sohn eines Rechtsanwalts ohne Fälle und ohne Frau“ (S. 10).
Moses ist über diese Verdächtigung und die mangelnde Anerkennung seiner Arbeit so erbost, dass er nun tatsächlich damit beginnt, Teile des Haushaltsgeldes abzuzweigen, um sich Besuche bei Prostituierten zu finanzieren (S. 10) und seinen Vater für dessen Misstrauen zu bestrafen (S. 15). Die Tatsache, dass sein Vater dies auch nach einem längeren Zeitraum nicht bemerkt, verdeutlicht, wie sehr er in seiner eigenen, „durch den kreisrunden Schein einer Stehlampe“ (S. 26) abgekapselten Welt lebt und von der Außenwelt nichts mitbekommt: „Er war in die Mauern seiner Gelehrtheit eingeschlossen“ (S. 26-27). Er lebt so sehr in seinen traurigen Erinnerungen, dass er es auch nach langer Zeit nicht bemerkt, dass es sich bei seinem Hammelragout eigentlich um Hundefutter der „Marke Chappi Royal“ (S. 45) handelt. Darin spiegelt sich in trauriger Weise die Tatsache wider, dass er seinem Sohn nicht mehr Aufmerksamkeit schenkt als einem Hund.
Das ganze Ausmaß des schlechten Verhältnisses...