Der moderne Roman

Aufbau

Der moderne Roman bezeichnet die Prosaliteratur nach Beginn des 20. Jahrhunderts. Im Vordergrund dieser Literaturepoche steht das Experimentieren mit neuen literarischen Techniken. Während sich die traditionellen Erzählungen durch einen klaren Aufbau und eine strikte Trennung der verschiedenen literarischen Gattungen auszeichnen, vermischen sich im modernen Roman oft die Grenzen zwischen Epik, Lyrik und Dramatik. Diese Art der Erzählweise kann fragmentarisch erscheinen und ähnelt in ihrem Aufbau manchmal der filmischen Montagetechnik.

In den der Moderne vorausgegangenen Literaturepochen, wie dem Realismus, dem Naturalismus oder der Romantik, ist überwiegend auf wörtliche Rede verzichtet oder diese durch die indirekte Rede ersetzt worden. Im modernen Roman ist die direkte Rede hingegen ein häufig verwendetes sprachliches Mittel. Zudem wird im modernen Roman nicht mehr streng chronologisch erzählt, sondern die Handlung durch Rückblenden, Erinnerungen und/oder Assoziationen neu strukturiert. Der Aufbau des modernen Romans wird dadurch wesentlich komplexer, was auch sein Verständnis erschweren kann.

Held und Erzählweise

Einen bedeutenden Unterschied zwischen moderner und traditioneller Erzählweise stellt die Vermittlung des Helden dar. Während er im traditionellen Roman fast immer als eine positive Figur erscheint, mit der sich der Leser aufgrund seiner moralischen Stärke identifizieren kann, erweist sich der moderne Held eher als eine durchschnittliche oder sogar als eine negative Figur. Er ähnelt aufgrund seiner Unzulänglichkeit dem normalen Alltagsmenschen oder bietet als sogenannter ‚Antiheld‘ keine Identifikationsfläche für den Leser.

Der Erzähler des traditionellen Romans ist auktorial und allwissend, denn er verfügt über Informationen, von denen die handelnden Figuren (noch) nichts ahnen. Der Erzähler kennt die Gedanken und Gefühle seiner Protagonisten und mischt sich teilweise durch Erklärungen in die Handlung ein. Im modernen Roman dominiert hingegen überwiegend eine personale Erzählweise. Dabei wird wechselweise aus der Sicht der handelnden Personen berichtet. Typisch für den modernen Roman sind häufige Perspektivenwechsel der Figuren, die zu einer vielschichtigen Erzählweise beitragen.

Weltbild und Lebenssinn

Die Literaturepochen des 18. und 19. Jahrhunderts sind zumeist durch eine klare Weltanschauung gekennzeichnet, welche durch die christliche Religion geprägt ist. So folgt zum Beispiel die Epoche des Sturm und Drang (ca. 1765 bis 1785) dem Pantheismus. Dieses Weltbild bedeutet die Einheit Gottes mit der Natur und dem Kosmos, der Mensch gilt als ein Teil eines Ganzen.

Der traditionelle Roman vermittelt dem Leser eine Weltanschauung, welche sich einfach und übersichtlich gestaltet. Dabei spielen Werte wie Schönheit, Güte, Liebe, Gottesglaube und Religiosität eine wichtige Rolle.

Die Literatur der Moderne besitzt keine einheitliche Weltanschauung mehr, denn auch die Werte haben sich verändert. Während Epochen wie die Klassik, die Romantik oder der Naturalismus klare Wertmaßstäbe besitzen und die Dinge in Gut und Böse unterteilen, sind die Werte der Moderne nicht mehr klar definiert.

Aufgrund der industriellen Revolution Anfang des 20. Jahrhunderts existiert eine Werteflut, was bei den Menschen zu Unsicherheit führt. Der moderne Mensch verfügt über kein einheitliches Weltbild mehr, da zu viele unterschiedliche Einflüsse auf ihn einwirken. Die Weltanschauung der Moderne ist gespalten und kompliziert, manchmal sogar verworren und unharmonisch. Ähnlich der Auflösung der Gattungsgrenzen ist auch der Mensch im modernen Roman einem Änderungsprozess unterworfen. Er ist oft ohne feste Orientierung, die familiären Bindungen lösen sich auf und die moralischen Werte verlieren zunehmend ihren Stellenwert in der Gesellschaft.