Das bürgerliche Trauerspiel
Das bürgerliche Trauerspiel ist eine Untergattung der Tragödie, die im 18. Jahrhundert in England und Frankreich eine wichtige Rolle spielt. In Deutschland schreibt Gotthold Ephraim Lessing 1755 das erste bürgerliche Trauerspiel Miss Sara Sampson in deutscher Sprache nach englischem Vorbild. Sein Stück Emilia Galotti (1772) gilt als Vorbild und Grundstein für die Gattung des bürgerlichen Trauerspiels in Deutschland.
Die Entstehung des bürgerlichen Trauerspiels spiegelt die gesellschaftliche Entwicklung und die Emanzipationsbewegung des zeitgenössischen erfolgreichen Bürgertums, das eine größere gesellschaftliche Rolle spielen will, wider. In den bürgerlichen Trauerspielen wird Prosa verwendet.
Das bürgerliche Trauerspiel bricht mit der sogenannten „Ständeklausel“, also mit der Beschränkung bei den Figuren in der klassischen Tragödie auf den Adel, und gestaltet auch das tragische Schicksal von Menschen des bürgerlichen Standes. Die Welt des Bürgertums, die früher nur in Komödien zu sehen war, kann sich nun in tragischen Stücken entfalten.
Das bürgerliche Trauerspiel tritt in den Privatraum der Familien. Die Hauptpersonen sind vor allem Privatmenschen im Familienkreis, die dem Mittelstand entstammen. Der Bürger versucht, sich durch Moral und Tugend vom Hochadel abzugrenzen. Die Liebe spielt in den Stücken häufig eine große Rolle. Oft sind weibliche Protagonisten die Opfer der tragischen Handlung.
Zentrale Themen des bürgerlichen Trauerspiels sind der Standeskonflikt zwischen Adel und Bürgertum, der Kampf der moralisch überlegenen Bürgerlichen gegen die Unterdrückung durch den Adel, die Konflikte innerhalb des eigenen Standes der Bürgerlichen, die Kritik der sich entwickelnden Arbeiterklasse an der bürgerlichen Wertordnung und der Konflikt zwischen gesellschaftlichem Anspruch und Selbstverwirklichung.
Von den früheren Ausprägungen, deren Tragik aus dem Gegensatz der Stände untereinander erwuchs, möchte sich Friedrich Hebbel bewusst abgrenzen. In seinem ultimativen Versuch, die Gattung zu regenerieren, beschränkt sich Hebbels Maria Magdalena (1843) auf die Welt des Kleinbürgertums. Hebbels bürgerliches Trauerspiel bildet den Endpunkt für die Gattung und markiert den Übergang zum sozialen Drama.
Merkmale des bürgerlichen Trauerspiels:
- Aufhebung der „Ständeklausel“: gemischte Charaktere aus dem Adel und aus dem Bürgertum
- Privatraum, Prosa
- Moral und Tugend
- Themen: Standeskonflikt, Liebe, Gesellschaft und Selbstverwirklichung
Unsere Werke:
Miss Sara Sampson (Gotthold Ephraim Lessing, 1755)
Emilia Galotti (Gotthold Ephraim Lessing, 1772)
Kabale und Liebe (Friedrich Schiller, 1784)
Maria Magdalena (Friedrich Hebbel, 1843)