Sturm und Drang
Die Protestbewegung junger Autoren
Die Epoche des Sturm und Drang, auch bezeichnet als Geniezeit, wird formal auf den Zeitraum zwischen 1765 und 1785 festgelegt. Die literarische Protestbewegung wird hauptsächlich von sehr jungen Autoren, die vorwiegend aus bürgerlichen Familien stammen, angeführt. Die Zentren der Bewegung sind in Straßburg, Göttingen, Frankfurt am Main oder in Wetzlar zu finden. Im Rahmen der Bewegung wird intensiv gelesen, geschrieben und heftig und kontrovers diskutiert.
Die Leidenschaft und das Seelenleben der Figuren nehmen einen wichtigen Platz in den Werken der Stürmer und Dränger ein, welche versuchen, Gefühl und Vernunft miteinander zu verbinden und zu versöhnen. Die Autoren konzentrieren sich auf drei zentrale Kritikpunkte: Politisch werden der Adel, der Absolutismus und die ständische Gesellschaftsordnung und die damit verbundene Willkür bekämpft. Moralisch wird das bürgerliche Leben, welches das Individuum zu gesellschaftlichen Zwängen nötigt, kritisiert. Außerdem werden bestehende Traditionen in Kunst und Literatur angegriffen.
Die Protestbewegung des Sturm und Drang fordert das Mitbestimmungsrecht, die Freiheit, die Abschaffung jedweder sozialen Unterdrückung und eine demokratische Staatsform. Aus politischer Sicht liefern die jungen Autoren aber nur relativ unkonkrete, utopische und theoretische Schriften. Die Revolte der Stürmer und Dränger bleibt in dieser Hinsicht wirkungslos. Auch wenn diese Strömung in Deutschland keine politische Durchsetzungskraft entfaltet, so nimmt sie doch großen Einfluss auf die nachfolgende Literatur.
Genie und Drama
Die Jugendbewegung des Sturm und Drang verherrlicht das Kraftgenie. Shakespeare verkörpert für die Stürmer und Dränger die Inkarnation des unverfälschten und kraftvollen Genies und ist daher ihr Vorbild. Das Originalgenie ist nach Ansicht dieser Epoche ein schöpferischer Mensch, ein wahrer Künstler, der aus seinen Gefühlen, seiner Spontaneität, seiner Kraft, seiner Fantasie und seiner Begeisterung heraus schafft. Das Genie ist von Gott begnadet. Es ist frei und lebt, so wie es es für richtig hält. Es ist humanistisch geprägt und nimmt Rücksicht auf alle Lebensformen und auf alle anderen Menschen, und zwar unabhängig von Kultur oder Neigung.
Die rebellischen Autoren drücken sich primär in der Dramatik aus. In ihren Dramen entfalten sich „Kraftkerle“, die nachdrücklich die Freiheit, ihr Leben selbst zu bestimmen, fordern. Sie versuchen, starke Gefühle und Gewalt als Teil des menschlichen Wesens auf natürliche Weise zu veranschaulichen. Sie bevorzugen die offene Form des Dramas mit häufigen Ortswechseln, Zeitsprüngen und Figuren aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten.
Die Lyrik des Sturm und Drang
Die Bewegung des Sturm und Drang bildet eine radikale Alternative zum rationalistischen Literaturverständnis der Aufklärung. Sie geht aus der kulturskeptischen Haltung junger Männer hervor, die das Fehlen großer Kunstwerke und Leistungen in ihrer Zeit bemängeln und aufgrund dessen eine Minderwertigkeit der Gegenwart gegenüber vorangegangenen Epochen feststellen. Die Stürmer und Dränger sind bestrebt, die deutsche Dichtung von der Kulturdominanz Frankreichs und allen rational motivierten Regeln zu befreien.
Als Ideal betrachten die jungen Autoren eine offene Form der Dichtung und den Künstler als Genie, der aus sich selbst heraus schafft. Die Kunst wird von dem Anspruch auf gesellschaftliche Nützlichkeit zugunsten ihrer Intensität und Popularität befreit. Sie missachten die starren Regeln der klassischen Poetik, experimentieren mit freien Rhythmen und verwenden eine individuelle, expressive und ausdrucksstarke Sprache. Besonders Ballade, Lied und Hymne erfreuen sich in dieser Periode großer Beliebtheit.
Die Erlebnislyrik ist eine typische Form der Dichtung des Sturm und Drang. Die Unmittelbarkeit des Gefühls und das spontan gesprochene Wort stehen dabei im Vordergrund und werden besonders durch Ausrufe und abgebrochene Sätze betont. Auch können die Empfindungslyrik, wie der Briefroman, das innere Gefühlsleben des lyrischen Ichs darstellen. Die Gedichte befassen sich oft mit Liebe, Natur und lehrreichen Inhalten.
Begriffe, wie Herz, Schmerz, Natur, Abend, Nacht, Freundschaft, Liebe und Einsamkeit, sind für die Lyrik des Sturm und Drang charakteristisch. Dies spiegelt die entscheidenden Leitdifferenzen zwischen dem Sturm und Drang und dem Rationalismus wider: Natur statt Kultur, Genie statt Regeln, Wirklichkeit statt Theorie und Leben statt Lesen.
Berühmte Autoren des Sturm und Drang (1765-1785) sind unter anderen Friedrich Schiller, Johann Wolfgang von Goethe, Johann Gottfried Herder, Friedrich Maximilian Klinger und Jacob Michael Rheinhold Lenz.
Merkmale
- Standes- und Gesellschaftskritik: Kritik am Absolutismus, an Traditionen und an der bürgerlichen Moral
- Gefühlsbetontheit, Emotionalität, Herz
- Individualismus, Freiheit, Rebellion
- Geniezeit, Schöpferkraft
- Naturverbundenheit
- Ausdrucksstarke Sprache
Wichtige Werke
Willkommen und Abschied (1771)
Götz von Berlichingen (1773)
Die Leiden des jungen Werther (1774)
Prometheus (1774)
Die Räuber (1781)
Kabale und Liebe (1784)