Mittelalter
Die lange Epoche des Mittelalters (750–1500) beschreibt die Zeit zwischen der Antike und der Neuzeit. Die gesamte Periode ist durch die Agrarwirtschaft, das Lehnswesen und die Städtegesellschaft kennzeichnet. In Deutschland leben um das Jahr 750 nur knapp drei Millionen Menschen. Die Bevölkerungszahl steigt um 1300 auf zehn Millionen an. Die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen beträgt circa 30 Jahre. Der Mensch gilt im Mittelalter als ein Teil der Gemeinschaft, nicht als ein Individuum. Seine Zugehörigkeit zu einem Stand wird durch die Geburt bestimmt. Die große Mehrheit der Bevölkerung kann weder lesen noch schreiben.
Die Periode des Mittelalters lässt sich in drei verschiedene Epochen unterteilen: das Frühmittelalter, das Hochmittelalter und das Spätmittelalter. Im Frühmittelalter beschäftigt sich vorwiegend der Klerus mit der Dichtung, später beginnen sich auch der Adel und das Bürgertum für die Literatur zu interessieren.
1 - Literatur des frühen Mittelalters: (750–1170) Christentum
Im frühen Mittelalter existiert lange keine einheitliche deutsche Sprache, sondern zahlreiche Dialekte. Das Althochdeutsche wird ab dem 9. Jahrhundert gesprochen. Lesen und Schreiben können fast nur die Geistlichen in den Klöstern und die Gebildeten in den Städten. Die Werke werden von Mönchen in den Klöstern auf Latein aufgeschrieben. Das Christentum prägt die Literatur, die den christlichen Glauben verbreiten soll. Nach dem mittelalterlichen Weltbild hat Gott die Welt erschaffen und der Mensch verkörpert die Krone seiner Schöpfung.
Einige der Heldengeschichten der Germanenstämme werden ab dem 9. Jahrhundert aufgeschrieben. Das Hildebrandslied, das einen tragischen Vater-Sohn-Konflikt beschreibt, ist wohl das älteste überlieferte Heldenlied. Der Verfasser dieses Werkes ist uns nicht bekannt, da die Mönche damals ihre Schriften in der Regel nicht signieren.
2 - Literatur des Hochmittelalters (1170–1250): Kreuzzeuge und Rittertum
Das Hochmittelalter (900–1200) ist die Zeit des Kaisertums und des Papsttums. Die beiden Autoritäten streiten in dieser Periode miteinander und schwächen sich dadurch gegenseitig. Es ist die Zeit der Kreuzzüge und des Rittertums. Mitteleuropa ist durch ein starkes Bevölkerungswachstum gekennzeichnet. Der Handel zwischen den Städten entwickelt sich in beträchtlichem Umfang. Der Adel und das Bürgertum beginnen, sich von der Dominanz des Klerus zu emanzipieren.
Das Hochmittelalter ist von der Kultur des Rittertums geprägt. Die Ritter stehen im treuen Dienste zu den Lehnsherren, im Dienste der Kirche und der Frauen. Die ritterlichen Tugenden umfassen Anstand, Würde, Ansehen, Treue, Verlässlichkeit und Großzügigkeit.
Die höfische Dichtung erlebt zwischen 1170 und 1250 ihre Blütezeit. Sie handelt vom Leben der Fürsten und Adeligen und preist ihren Reichtum und ihre Macht. Sie veranschaulicht das ritterliche Ideal. Die Dichtung wird den Adeligen bei Festen von fahrenden Sängern und Rittern vorgetragen und ist in mittelhochdeutscher Sprache verfasst. Diese Sprache ist von Dialekten, Latein und Französisch beeinflusst und streng formal aufgebaut.
Viele der höfischen Schriften werden nach Vorlage der französischen Dichtung verfasst. Die ritterliche Dichtung setzt sich aus zwei Hauptgattungen zusammen: Die Minnedichtung und die Heldendichtung. Der Minnesang ist eine Liebesdichtung. In der hohen Minne wird häufig die Liebeserklärung eines Ritters an eine verheiratete, idealisierte und unerreichbare Adelige präsentiert. Die niedere Minne enthält im Gegensatz dazu nicht nur Schwärmerei, sondern auch die Begierde nach der erwünschten Frau.
Im Ritterroman wird das Leben eines Ritters erzählt: Er erlebt eine Reihe von Abenteuern und geht viele Irrwege, bevor er sich als wahren und edlen Ritter betrachtet darf. Die Autoren orientierten sich in ihren Erzählungen meistens an der Sagenwelt um König Artus und Karl den Großen. Wichtige Ritterepik und Verserzählungen sind Erec von Hartmann von Aue, Parzival von Wolfram von Eschenbach und Tristan und Isolde von Gottfried von Straßburg. Das Nibelungenlied ist außerdem die berühmteste germanische Heldensage dieser Zeit.
3 - Literatur des Spätmittelalters: Aufstieg des Bürgertums
Das Spätmittelalter beginnt um ca. 1250 und dauert bis zum Jahre 1500. Diese Periode ist geprägt durch gesellschaftliche Umbrüche. Der Kaiser verliert an Macht und die Autorität des Papstes schwindet. Die Fürsten in Deutschland beginnen eine größere politische Rolle zu spielen. Das Rittertum erlebt seinen Niedergang. Handel, Handwerk und Geldwirtschaft entwickeln sich in dieser Periode in beträchtlichem Umfang. Die Städte erlangen mehr wirtschaftliche Macht und Autonomie. Das aufsteigende Bürgertum gewinnt zunehmend an Einfluss.
Besonders charakteristisch für das Spätmittelalter ist der „Schwarze Tod“. Die Pestepidemie kostet in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts einem Drittel der europäischen Bevölkerung, also circa 25 Millionen Menschen, das Leben. Sie löst viel Pessimismus in der Bevölkerung aus. Viele Menschen beginnen, an der göttlichen Ordnung zu zweifeln. In der Literatur sind daraufhin viele Stücke des Spätmittelalters durch Schwermut und Untergangsstimmung geprägt.
Die Literatur wird nun weniger durch die Klöster und Höfe, sondern zunehmend durch die Kultur der Städte geprägt. Die ersten Universitäten werden in mehreren Städten in Deutschland gegründet. Sie verbreiten die Lehren der Antike und deuten bereits die kommende Epoche der Renaissance voraus. Die Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg revolutioniert ab 1450 die Buchproduktion und löst das handgeschriebene Werk ab. Die Zahl der angefertigten Schriften nimmt danach rasant zu.
Die deutschsprachige Literatur des Spätmittelalters ist vielseitig. Sie lässt sich nicht in eine eigene Literaturepoche einordnen und bildet eher eine Zwischenphase zwischen dem hohen Mittelalter und der Neuzeit. Die höfische Literatur und die großen höfischen Epen verschwinden langsam. Die höfisch geprägten Gattungen werden durch die Satire, das Volkslied, das Volksbuch, die Legendenerzählung, den Schwank und den Meistersang abgelöst. Die geistliche Literatur, wie Passionsspiel oder Fastnachtsspiel, ist in dieser Periode sehr präsent. Literatur wird immer mehr in Prosaform verfasst und Fachliteratur verbreitet sich.
Der Meistersang ist weitgehend eine Weiterentwicklung des Minnesangs. Er ist nach bestimmten Regeln für Text und Vortrag verfasst, die eingehalten werden sollen. Die Motive der Lieder sind sehr verschieden und enthalten sowohl moralische oder schwankhafte, sowohl antike als auch biblische Stoffe. Die Meistersinger sind häufig fahrende Handwerker, die ohne Musikbegleitung Lieder vortragen.
Berühmte Werke des Spätmittelalters sind Das Narrenschiff (Sebastian Brant), Der Renner (Hugo von Trimberg), Till Eulenspiegel (Autor unbek.-), und Schlaraffenland (Hans Sachs).