Die neue Syntax Interpretation

Einleitung und Titel

Johannes R. Bechers Gedicht „Die neue Syntax“ wird 1916 in dem Gedichtband „An Europa“ publiziert. Das Gedicht ist ein Schlüsselwerk des Dichters und steht programmatisch für die Lyrik Bechers. Der politisch ambitionierte Lyriker sah die dringende Notwendigkeit,  im Sinne der Erschaffung einer neuen Gesellschaft auch eine neue Form der Sprache und des Dichtens zu kreieren.

Bereits der Titel des Gedichts markiert das Thema eindeutig: Es geht um eine neue Syntax, eine neue Grammatik der Sprache. Damit wird deutlich, dass dieses Gedicht poetologisch zu lesen ist, d.h. das Gedicht handelt von dem Dichten selbst, indem es eine neue Sprache zum Inhalt hat.

Dabei begrenzt sich diese neue Syntax aber nicht allein auf das Dichten. Der Titel ist so allgemein gehalten, dass er die Möglichkeit einer neuen literarischen Stilepoche zu evozieren scheint.

Form und Metrik

Formal besteht das Gedicht aus vier Quartetten mit je vier Strophen. Es ist durch also eine äußere Form gekennzeichnet, die durchaus als konventionell zu bezeichnen ist. Traditionell ist das Gedicht jedoch nicht in seiner Versausgestaltung. Die Zahl der Hebungen ist unregelmäßig: In den Versen 3,4,5-8,9,11,14 und 16 ist der Jambus der bestimmende Versfuß, während die Verse 1,13,15 einen Daktylus aufweisen, die Verse 2,10,12 zwei Daktylen. Die Verslänge ist nicht gleichmäßig. Das Gedicht zeigt unreine Reime -  die Silben der Worte sind nicht gleich, sondern klingen nur ähnlich. Allein die Verse sechs und acht, zehn und zwölf und vierzehn und sechzehn (Bsp. Parkett – Kett', Welt - fällt) zeigen reine Reimungen.

Das erste Quartett

Gleich das erste Quartett zeigt deutlich, dass der Lyriker mit vielen nicht gängigen Motiven arbeitet. Die Wortarten, das Substantiv oder das „Brückenpartizip“ erscheinen personifiziert: Während  das Adjektiv als Attribut den Schmetterlingen beigefügt wird, 'wohnt' das Substantiv in einem „Quaderbau“, das Partizip soll „schwingen“, sich also hin und her bewegen, und das Verb wird mit der menschlichen Eigenschaft „kühn“ , demnach mutig, beschrieben. Die Wortarten und Satzteile der Grammatik scheinen ein Eigenleben zu führen.

Im ersten Quartett  zeigen sich Neologismen, die ein wichtiges Stilmittel des Gedichts sind. „Adjektiv–bengalisch“ ist eine neue Zusammenfügung zweier Wörter, die eigentlich in keinem Zusammenhang zueinander stehen. Es ist ein Neologismus wie auch das „Brückenpartizip“. Auch fällt das Wort „Aeroplan“ für Flugzeug auf – ein technischer Begriff und untypisch für die gängige Sprache eines Gedichts, der dadurch verfremdend wirkt. 

Der Umgang mit der eigenen Sprache bildet das Thema des ersten Quartetts. Der „Quaderbau“ könnte der Bau des Gedichts sein, indem die Substantive situiert sind. Der wiederholte  imperativische Ausruf: „Muss schwingen. schwingen!!“ unterstreicht die beabsichtigte Intention und die Aufforderung, die Sprache in genau der hier beschriebenen Art zu gebrauchen.

Die Worte „klirren“, „schwingen“ und „tönen“ evozieren eine Klanglichkeit. Es werden visuell- akustische Bilder erzeugt, die  Bewegung und Lebendigkeit („schraubt sich in Höhen“) suggerieren. Die beiden Enjambements verbinden die einzelnen Verse miteinander und unterstreichen die Dynamik. Was hier beschrieben und gleichzeitig vorgeführt wird, sind die Stilmerkmale eines experimentellen expressionistischen Dichtens.

Die Dichter des Expressionismus behandeln die Worte auf eine radikal neue Weise. Sie nehmen sie wortwörtlich, setzen sie neu zusa...

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