Willkommen und Abschied

Johann Wolfgang Goethe und Friederike Brion

Johann Wolfgang von Goethe erleidet im Jahr 1768 einen schweren Blutsturz, dem eine Lungenentzündung folgt. Um sich von der schweren Erkrankung wieder zu erholen, begibt er sich in sein Elternhaus in Frankfurt am Main. Doch sein Vater lässt ihn nicht lange auf der faulen Haut herumliegen. Gleich nach seiner Genesung fordert der wohlhabende Jurist und Kaiserliche Rat, Johann Caspar Goethe, seinen Sohn dazu auf, sein Studium der Rechtswissenschaften in Straßburg fortzusetzen und gleichzeitig seine Französischkenntnisse aufzubessern. Der 21-Jährige folgt dem Rat des Vaters, trifft Anfang April 1770 in der elsässischen Hauptstadt ein und treibt anschließend seine juristischen Studien energisch voran. Der begabte Student legt nach nur einem Semester das Kandidatenexamen ab und kann mit seiner Promotion beginnen.

Während seines Studiums in Straßburg, das nur drei Semester andauert, verfasst der noch unbekannte Johann Wolfgang Goethe überwiegend Liebesgedichte. Die Inspiration dafür findet der junge Mann in der zufälligen Bekanntschaft mit Friederike Brion bei einem Ausflug im Oktober 1770. Er lernt die 18-jährige Pfarrerstochter durch seinen Studienkollegen Friederich Leopold Weyland kennen und verliebt sich in sie, als die Freunde bei der gastfreundlichen Familie in dem elsässischen Dorf Sesenheim, das etwa 40 Kilometer nordöstlich von Straßburg, also ca. fünf Reitstunden von der Stadt entfernt liegt, übernachten. Die Begegnung beschreibt er in seiner Autobiografie Dichtung und Wahrheit wie folgt: „In diesem Augenblick trat sie wirklich vor die Türe; und da ging fürwahr an diesem ländlichen Himmel ein allerliebster Stern auf.“

Goethe besucht Friederike in den nächsten Monaten auch weiterhin bei ihren Eltern und schreibt ihr Liebesbriefe. Wenn das Paar sich trifft, unternimmt es gemeinsame Spaziergänge und Wanderungen, besucht Freunde und Bekannte, küsst und umarmt sich zärtlich. Der verliebte Jurastudent verfasst Gedichte, im Frühling 1771 sehr wahrscheinlich auch Willkommen und Abschied und Mailied.

Im August 1771 kehrt Goethe nach seiner erfolgreichen Doktorprüfung in seine Heimatstadt Frankfurt zurück. Kurz darauf findet die Beziehung durch einen Brief Goethes ihr Ende. Während Goethe seine brillante Karriere fortsetzt, hat Friederike in der Folge mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen und hat den Abbruch der Beziehung nie überwunden. Sie liebt nie wieder einen anderen Mann und stirbt 42 Jahre später unverheiratet. Goethe dagegen dachte nur an seine Karriere und wollte sich daher nicht fest binden.

Johann Gottfried Herder

Goethes Straßburger Zeit ist nicht nur durch das zufällige Treffen mit Friederike Brion geprägt. Auch die Begegnung mit dem fünf Jahre älteren Theologen und Literaturtheoretiker Johann Gottfried Herder im September 1770 hat einen großen Einfluss auf den zukünftigen Dichter ausgeübt. Herder arbeitet zu diesem Zeitpunkt an seiner Abhandlung über den Ursprung der Sprache in Straßburg. 

Er erkennt sogleich die große Begabung des jungen Mannes. Auch Goethe schildert in seiner Biografie Dichtung und Wahrheit die Begegnung als ein sehr bedeutsames Ereignis in seinem Leben. Die beiden Schriftsteller knüpfen eine tiefe und lebenslange Freundschaft. Herder wird Goethes Mentor und geistiger Wegbegleiter, indem er dem aufstrebenden Poeten wesentliche Impulse für die Entwicklung seiner Werke liefert. 

Durch den Einfluss Herders orientiert sich Goethe bei seinem Schaffen an klassischen Autoren, wie Homer oder Shakespeare, und interessiert sich zunehmend für Volksdichtung. Auch das Gedicht Willkommen und Abschied trägt Merkmale der Volkspoesie, die unter anderem in dem traditionellen Aufbau (4 Strophen zu je acht Versen), der schlichten Sprache und dem gleichmäßigen Metrum zum Ausdruck kommen.

Entstehungsgeschichte

Neben anderen Gedichten, die unter dem Titel Sesenheimer Lieder zusammengefasst worden sind, widmet Johann Wolfgang Goethe das Gedicht Willkommen und Abschied der Pfarrerstochter mit den blonden Zöpfen und den blauen Augen – Friederike Brion.

Das Gedicht Willkommen und Abschied schreibt der junge Dichter aller Wahrscheinlichkeit nach im Frühling des Jahres 1771 in Straßburg. Es schildert den abendlichen Ritt des Lyrischen Ichs zu einem leidenschaftlichen Treffen mit seiner Geliebten sowie zu dem traurigen Abschied am nächsten Morgen. In seiner ursprünglichen Fassung trägt das Gedicht keinen Titel und besteht aus nur zehn Versen. Zum ersten Mal wird es anonym im März des Jahres 1775 in der Zeitschrift Iris publiziert. Im Laufe der Jahre erfahren die Verse mehrere Veränderungen. 1789 wird der Titel Willkomm und Abschied hinzugefügt. 1810 überarbeitet Goethe den Inhalt und bringt ihn damit in seine endgültige Fassung und korrigiert den Titel zu Willkommen und Abschied.

Struktur, Titel, Reimschema und Metrum

Willkommen und Abschied besteht aus vier Strophen zu je acht Verszeilen. Das Gedicht kann in zwei Teile untergliedert werden und schildert eine Erinnerung des Lyrischen Ichs, was durch die überwiegende Formulierung im Präteritum deutlich wird. Die beiden ersten Strophen beschreiben den nächtlichen Ritt und die Vorfreude des Lyrischen Ichs auf das Wiedersehen mit seiner Geliebten. Der zweite Teil geht in der dritten Strophe auf das Treffen der Liebenden ein, die sich in der vierten Stroph...

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