Mailied
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Entstehungsgeschichte
Neben anderen Gedichten, die unter dem Titel Sesenheimer Lieder zusammengefasst werden, widmet der junge Johann Wolfgang Goethe auch das Gedicht Mailied der Pfarrerstochter mit den blonden Zöpfen und blauen Augen – Friederike Brion.
Vermutlich schreibt der 22- jährige Jurastudent das Gedicht Mailied, das er zunächst als Maifest betitelt, im Mai 1771, also während seiner Studienzeit in Straßburg. Zum ersten Mal wird es anonym im März des Jahres 1775 in der Zeitschrift Iris publiziert. 1789 ändert der Dichter den Titel zu Mailied und nimmt kleine Veränderungen vor.
Die neun Strophen, bestehend aus sehr kurzen Versen, feiern die Natur, den Frühling, die Jugend, die Liebe, und verbinden die Anbetung der Geliebten mit der Verehrung der Natur. Das Gedicht ist in Präsens verfasst. Es entsteht der Eindruck, dass die Leser*innen das Lyrische Ich direkt und authentisch im Hier und Jetzt erleben.…
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Struktur, Versmaß, Reimschema
Das Gedicht besteht aus neun Strophen zu je vier Verszeilen und lässt sich in drei Teile untergliedern. In den ersten drei Strophen geht das Lyrische Ich nur auf die Natur ein. Es lobt zunächst, wie der Titel es bereits andeutet, die schönen Erscheinungen des Frühlings im Monat Mai. In den Strophen drei, vier und fünf preist der Sprecher die Liebe und verknüpft seine Empfindungen des Liebesglücks mit den Naturelementen. Die Ansprechpartnerin wechselt anschließend in den Strophen sechs bis neun. Das „Du“, das früher die Liebe betraf, gilt nun dem angebeteten Mädchen. Der letzte Teil des Gedichts handelt von der gegenseitigen Liebe des Paares und der positiven Wirkung der Geliebten als Muse für das Lyrische Ich.
Das Versmaß wechselt zwischen einem zweihebigen Jambus in den Verszeilen eins, drei und vier und einem zweihebigen Trochäus im zweiten Vers. Sowohl die Strophen als auch die Verse sind häufig durch Enjambements miteinander verbunden. Dies verleiht dem Leserhythmus Schwung und überträgt die Leidenschaft und Begeisterung des Lyrischen Ichs auf die Rezipienten*innen. Auch die vielen Ausrufe „Wie“ und „O“ sowie die häufig auftretenden Ausrufezeichen transportieren die von der Liebe und der Natur beflügelte Stimmung des Sprechenden auf die Leser*innen.
Das Reimschema der einzelnen Strophen ist „abcb“. Es liegt hier folglich ein Kreuzreim zwischen zwei ungereimten Verszeilen vor. Die zweite und die dritte Strophe stellen eine Ausnahme dar. Während sich in der zweiten Strophe nur ein unreiner Reim „Zweig“ – „Gesträuch“ finden lässt, reimen sich in der dritten Strophe die Verse eins und drei „Sonne“ – „Wonne“ sowie zwei und vier „Brust“ – „Lust“. …
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Analyse und Interpretation
1. Teil (Strophen 1-2)
In der ersten Strophe erscheint drei Mal die Anapher „Wie“, die jedoch nicht als Fragewort gemeint ist. Es handelt sich dabei vielmehr um drei Ausrufe der Begeisterung, was die Ausrufezeichen bestätigen. „Wie herrlich leuchtet / Mir die Natur!“ (V. 1f.), ruft das Lyrische Ich aus und präsentiert sich dabei als passiver Beobachter. Die Naturerscheinungen wirken auf den Sprecher ein, die vielen Eindrücke überwältigen ihn. Die drei verwendeten Verben „leuchten“ (V. 1), „glänzen“ (V. 3) und „lachen“ (V. 4) erzeugen eine helle und fröhliche Stimmung. Die „Flur“ erscheint personifiziert, sie „lacht“ (V. 4).
Der Sprecher bringt seinen Enthusiasmus und seine Begeisterung für die im Frühling erneut aufkeimende Lebenskraft der Natur anhand zweier Hyperbeln in der zweiten Strophe zum Ausdruck: Aus jedem Zweig dringen Blüten und aus dem Gesträuch klingen tausend Vogelstimmen. Damit beschreibt er zwei besonders eindringliche Bilder des Frühlings, die mit dem Sehen und Hören verbunden sind. Der Frühling spricht also die Sinne des Menschen in vielfältiger Weise an.
2. Teil (Strophen 2-5)
Der zweite Teil stellt eine Preisung von Freunde, Wonne und Liebe dar. Die Strophen zwei und drei sind durch eine fortlaufende Aufzählung miteinander verbunden: „Es dringen Blüten […] Und Freud und Wonne / Aus jeder Brust“ (V. 5-12). Das Lyrische Ich bringt in der Form einer Hyperbel zum Ausdruck, dass der…