Zueignung
Einleitung
Der „Faust“ wird häufig als das Lebenswerk Johann Wolfgangs von Goethe betitelt. Äußerungen des Autors zum Drama gibt es von 1773 bis 1832 immer wieder. Man nimmt an, der junge Goethe habe den Fauststoff bereits in der Bibliothek seines Vaters kennengelernt, der ihn seitdem nicht mehr losließ. Fast sechzig Jahre lang beschäftigt sich Goethe mit dem Wissenschaftler Faust und der Frage, was Menschen bewegt, die weder nach Lebensgenuss noch nach Reichtümern eifern, sondern ausschließlich nach der Erkenntnis streben. Im Juni 1797 beginnt die intensive Arbeit am Stoff und die zuvor gesammelten Erkenntnisse über die alte Sage sowie die Alchemie und Magie vereinen sich in den Versen des Dramas.
Bevor der Autor jedoch mit der Haupthandlung beginnt, fügt er dem „Faust“ drei Prologe hinzu. Das letzte „Prolog im Himmel“ kann als zur Handlung zugehörig begriffen werden, also als direkte Einleitung.
Die „Zueignung“ sowie das „Vorspiel auf dem Theater“ dagegen bilden zwei äußere Rahmen, die den „Faust“ als Drama und damit als Fiktion kenntlich machen und somit die Illusion, welche eine Realität suggeriert, von vornherein zerstören. In der Zueignung tritt der Dichter selbst als das Lyrische Ich auf und beschreibt seinen Schaffensprozess. Das Drama ist auf diese Weise als die Idee eines Dichters und damit als Kunstprodukt entlarvt.
In dem „Vorspiel auf dem Theater“ wird die Theaterkunst aus drei Perspektiven heraus erläutert, wobei klar zum Ausdruck kommt, dass nicht nur der Kunst, sondern auch dem finanziellen Aspekt sowie dem Unterhaltungsaspekt ein großer Stellenwert in der Branche beigemessen wird. In diesem Rahmen tritt „Faust“ als eine Tragödie auf, die den Ansprüchen aller Beteiligten, wie Direktor, Dichter, Schauspieler und Zuschauer, genügen soll. Auch hier bricht die Illusion.
Der Zuschauer weiß, dass das Dargestellte eine Fiktion ist und muss diesem nun mit einer dementsprechenden Erwartungshaltung gegenübertreten. Der Dichter möchte damit deutlich machen, dass die Widersprüche oder Unstimmigkeiten in den Versen ein beabsichtigter Teil seines Werks sind, denn die Poesie folgt einer anderen als der alltäglichen Logik. Sie ist durch eine andere Art von Schlüssigkeit gekennzeichnet. In der Poesie ist alles möglich.
Form und Struktur
Die Zueignung besteht aus vier Strophen, in der Form einer Stanze verfasst. Jede Strophe hat acht Verse mit dem Reimschema abababcc. Die Verse mit den Reimen a und c haben eine klingende, weibliche Kadenz. Die Verse mit dem Reim b haben eine stumpfe, männliche Kadenz. Daraus ergibt sich auch die Anzahl der Silben: Die b-Verse weisen zehn, die a- und c-Verse elf Silben auf. Das Metrum ist ein durchgehender fünfhebiger Jambus.
Auf der inhaltlichen Ebene liegt ebenfalls eine Gliederung vor. Die äußeren Strophen gehen auf die Gegenwart des Lyrischen Ichs ein, die Binnenstrophen thematisieren seine Erinnerungen und Sehnsüchte nach verstorbenen Freunden und Verwandten.
Erste Strophe
„Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten!“ (V. 1) – eröffnet das Lyrische Ich die Zuschreibung, welche eigentlich einen Monolog darstellt, sich jedoch zunächst an die angesprochenen Geister richtet. Das Personalpr...