Wald und Höhle
Im Einklang mit der Natur (V. 3217-3239)
Die Szene „Wald und Höhle“ wird auch als Scheitelpunkt des Dramas bezeichnet. Sie stellt in ihrer Funktion eine Unterbrechung der bis dahin erfolgten Handlung dar und weist dem weiteren Geschehen die Richtung. Vor dem Beginn der Szene hat Margarete im Gartenhäuschen aus ganzem Herzen ihre Liebe zu Faust beschworen und die beiden haben sich zum ersten Mal geküsst.
Faust hat sich nun allein in die Natur zurückgezogen und reflektiert zunächst über das bisher Erlebte. Die Höhle im Wald bietet ihm einen natürlichen Schutzraum vor dem aufkommenden Sturm. Sie ist damit auch ein symbolischer Raum, in dem er frei vom Einfluss des Mephistopheles nachdenken kann.
Faust fühlt sich im Einklang mit der Natur und dankt in einem hymnisch anmutenden Monolog dem „erhabene(n) Geist“ (V. 3217) für die tiefen Empfindungen, die er dank der starken Naturverbundenheit fühlt: „Erhabner Geist, du gabst mir, gabst mir alles,/ Warum ich bat.“ (V. 3217-3218). Metaphorisch preist er die Natur als das „Königreich“ (V. 3220), das sich in jedem kleinen Detail zeigt: „Du führst die Reihe der Lebendigen/ Vor mir vorbei, und lehrst mich meine Brüder/ Im stillen Busch, in Luft und Wasser kennen./(..) Dann führst du mich zur sichern Höhle, zeigst,/ Mich dann mir selbst, und meiner eigenen Brust/ geheime tiefe Wunder öffnen sich,/ Und steigt vor meinem Blick der reine Mond/ Besänftigend herüber,/ Von Felsenwänden, aus dem feuchten Busch/ Der Vorwelt silberne Gestalten auf/ Und lindern der Betrachtung strenge Lust.“ (V. 3224-3227/3232- 3239).
Das Aufsteigen des Mondes symbolisiert die Reinheit der Natur schlechthin. Mensch und Natur sind „Brüder“ (V 3226), sie gehören untrennbar zusammen. Auch die Geschichte „der Vorwelt silberne Gestalten“ (V. 3238) ist hierin eingebettet und gedenkt ihrer. Dieses pantheistische Naturverständnis manifestiert sich in dem Gefühl des Erkennens und des Einsseins mit der Natur. Faust sieht ein, dass sie ihm Einblicke in sein Inneres verschafft, ihn dann besänftigt, wenn der „Sturm im Walde braust und knarrt“ (V. 3228). Im Einklang mit der Natur kommt Faust zur Ruhe und findet sein inneres Gleichgewicht wieder und zurück zu sich selbst zurück. Er kann auf Distanz zu den vergangenen Erlebnissen gehen und neue Kraft tanken.
Diese ersten Verse sind eine hymnische Dankesrede an den Erdgeist. Das hohe Pathos der Sprache wird durch den reimlosen Blankvers in fünfhebigen Jamben zum Ausdruck gebracht. Die Regelmäßigkeit des Blankverses verleiht der Sprache eine Ruhe, die auch Fausts Gemütszustand entspricht.
Fausts „zwei Seelen“ (V. 3240-3250)
Doch in den nächsten Zeilen schlägt die Euphorie um. Faust muss nun erkennen, dass der Mensch niemals den vollkommenen Moment des Glücks erfahren kann, und er muss sich eingestehen, dass ihn der Sinnesrausch nur zu neuem Verlangen führen...