Prolog im Himmel
Exposition
Die Szene „Prolog im Himmel“ ist für die Struktur und die Motive der Tragödie von entscheidender Bedeutung. Zusammen mit den ersten beiden Szenen „Zueignung“ und „Vorspiel auf dem Theater“ ist sie der Faust-Handlung als Exposition vorangestellt. Sie liefert zudem eine Art Rahmenhandlung, welche die Binnenhandlung in Verbindung mit der letzten Szene leitmotivisch umschließt.
Die Szene führt die Hauptpersonen ein und bildet eine Einleitung in das Geschehen sowie die Thematik. Sie spielt nicht auf der Erde, sondern im Himmel und wird mit einem Gespräch zwischen Gott und seinen „Himmlischen Heerscharen“ eröffnet (S. 9-12), den Erzengeln Raphael, Gabriel sowie Michael und Mephistopheles. Der „Prolog im Himmel“ lässt sich in drei Teile untergliedern.
Der erste Abschnitt - Lobpreis der Erzengel auf die Schöpfung Gottes
Der erste Abschnitt umfasst vier Strophen (V. 243-270), in denen die drei Erzengel abwechselnd die Schöpfung des Herrn und die kosmische Ordnung preisen und loben. Als Erster beschreibt der Erzengel Raphael die Entstehung der Sonne, die als „unbegreiflich hohe[s] Werk […]“ (V. 249) noch immer in aller Herrlichkeit unergründlich erscheint. Er personifiziert die Sonne, indem er äußert, dass sich diese im ewigen Wettstreit mit den Planeten befindet. Sie „tönt nach alter Weise/ In Brudersphären Wettgesang“ (V. 243-244). Damit macht Raphael auf die lange Existenz der Sonne aufmerksam und betont ihre Vorrangstellung gegenüber den anderen Planeten, die sich daraus ergibt, dass die Sonne Wärme abgibt, die das Leben auf der Erde erst ermöglicht. Das Tönen schließt an die Vorstellung an, dass die Planeten einer harmonischen Ordnung folgen, in deren Rahmen sie gemeinsam wie Spährenmusik erklingen.
Die Sonne hat eine Reise hinter sich, die sie nun mit „Donnergang“ (V. 246) vollendet. Demnach ist sie zuvor gewandert und jetzt zum Stillstand gekommen. Diese Beschreibung verweist auf die von Kopernikus gewonnene Erkenntnis, dass nicht die Erde den Mittelpunkt des Universums bildet, sondern sich umgekehrt die Erde um die im Zentrum stehende Sonne dreht. So beschreibt Raphael mit diesem Vers die Einschlagkraft dieser neuen heliozentrischen Weltansicht.
Der Erzengel Gabriel knüpft daran an und preist die Erde mit ihrer kreisenden Bewegung, die so den Wechsel von Tag und Nacht ermöglicht. Während der Tag dem Paradies gleicht, ist die Nacht dunkel und „schauervoll“ (V. 254). In diesem Wechsel der Gegensätze, die in einem harmonischen Gleichgewicht zueinander stehen, wird die ewige Monotonie des sich drehenden Planeten deutlich, die Beständigkeit der Erde, ihrer Schönheit und der ihr innewohnenden natürlichen Prozesse. Einer dieser Prozesse, die ebenso mit dem Wechsel von Tag und Nacht verbunden sind, sind die Gezeiten, die das Meer mal an die Felsen prallen lassen und mal weit von den Felsen fortreißen.
Von der großen Macht der Natur, dem Schrecken der Stürme, der Zerstörungskraft der Gewitter und deren verheerenden Auswirkungen berichtet Michael. Doch verweist er auch auf das „Wandeln“ (V. 266) des Tages hin, womit der gewaltige und zerstörerische Aspekt zu einem Bestandteil des großen Ganzen wird. So preisen die drei Engel zum Abschluss die Harmonie in der göttlichen Schöpfung, die sie bereits seit dem ersten Tag verehren. Zusammen betonen sie die Schönheit und Kraft in der Gesamtschöpfung Gottes, bestehend aus Himmel, Erde und Kosmos, in den abschließenden Versen. Sie sprechen Gott direkt an, indem sie seine Allmacht und sein Wirken loben und preisen.
Dieser erste Abschnitt ist in einer feierlich-hymnischen Sprache gehalten. Der Lobpreis der Engel findet seinen Ausdruck in ausschmückenden lyrischen Worten. Das Versmaß ist ein ungereimter vierhebiger Jambus, der das Pathos der Worte nachhaltig unterstützt. Der gleichmäßige Rhythmus der Verse scheint wie die Wellen des Meeres zu fließen.
Der zweite Abschnitt - Mephistopheles' Kritik an der 'Krone der Schöpfung'
Der zweite Abschnitt dieser Szene beginnt mit dem Auftreten des Mephistopheles. Sowohl thematisch als auch sprachlich e...