Auerbachs Keller in Leipzig
Einführung und Form
Der titelgebende, für die Szene festgelegte Ort war Goethe wohl bekannt. Der Autor verbrachte dort selbst während seiner Studienzeit in Leipzig von 1765-1768 den einen oder anderen Abend. Die Verbindung zu Faust ergab sich fast von allein, denn seit dem Jahr 1625 besaß das Lokal zwei Gemälde, die auf das Faustbuch referierten. Eines davon zeigt, wie Faust auf einem Weinfass das Lokal verlässt.
Die Szene schließt direkt an den Teufelspakt an und verkörpert das Versprechen Mephistos an Faust, ihm erst „die kleine, dann die große Welt“ zu zeigen. Es ist der erste Schritt Fausts aus dem Leben eines Gelehrten hinein in das bürgerliche Leben. Mephisto will ihm im Auerbachs Keller die Freuden des einfachen Volkes vorführen: Trinken, Singen, Lachen. Dabei lässt es sich Mephisto nicht entgehen, den anwesenden Männern einen Streich zu spielen.
Die Szene lässt sich in zwei Teile gliedern: Das fröhliche Trinken der Männer vor der Anwesenheit Fausts und Mephistos sowie das gemeinsame Beisammensein danach mit dem Streich Mephistos.
Die Namensgebung der anwesenden Männer geht auf die Studienmilieu-Semantik zurück. Als „Frosch“ bezeichnete man einen Studienanfänger, als „Brander“ oder „Brandfuchs“ einen Studenten im zweiten Semester. Die Namen „Altmayer“ und „Siebel“ vertreten das Spießbürgertum.
Goethe verwendet in der Szene den Madrigalvers, gekennzeichnet durch ein alternierendes Metrum mit freier Hebungszahl, sowie Kurzverse zur Betonung von Pointen und zum Hervorheben von Inhalten, Knittelverse mit vier Betonungen, deren Anzahl der unbetonten Silben und ihre Platzierung variiert, Blankverse und freie Rhythmen. Auf diese Weise entsteht eine Abwechslung, die keine holzschnittartige, langweilige Lesestruktur aufkommen lässt. Es dominiert der Jambus mit geringfügigen Abweichungen.
Erster Teil: Vor der Ankunft Fausts und Mephistos (V. 2073-2157)
In der ersten Sprechpassage wundert sich Frosch darüber, dass seine Trinkgefährten nicht zum Feiern aufgelegt sind. Die Fragen „Will keiner trinken? Keiner lachen?“ (V. 2073) klingen rhetorisch. Er bietet an, den Gefährten beizubringen, Grimassen zu schneiden, und vergleicht diese metaphorisch mit nassem Stroh, welches nicht brennt, mit der Feststellung, dass diese üblicherweise „lichterloh“ brennen. Brennen steht hier als Metapher für eifrigen Spaß haben, nasses Stroh dagegen brennt nicht. Seine Sprechpassage ist als doppelter reicher Paarreim aufgebaut.
Brander geht darauf ein und schiebt Frosch die Schuld zu, da dieser „nichts“ herbeibringt. Das „nichts“ wird jedoch wider Erwarten nicht mit alkoholischen Getränken, sondern mit Dummheiten und schlechtem Benehmen gleichgesetzt. Auch hier liegt ein reicher Paarreim vor.
Es folgen zwei Kurzverse. Frosch gießt Brander ein Glas über den Kopf und äußert: „Da hast du beides“, und zwar sowohl „Dummheit“ als auch „Sauerei“. Brander antwortet darauf mit der Feststellung, sein Gefährte wäre demzufolge „Doppelt Schwein“.
Daraufhin weist Frosch ihn auf den zuvor geäußerten Schuldvorwurf hin. Seine Aussage: „Ihr wollt es ja, man soll es sein!“ (V. 2080) ist ein Parallelismus und bildet einen reichen Paarreim mit Brands Beleidigung.
Diese gespielte Auseinandersetzung, die auf der interpretatorischen Ebene ausschließlich dazu dient, das zügellose schlechte Benehmen der Männer und somit den Spaß der einfachen Leute bildlich zu veranschaulichen, veranlasst Siebel zu der Äußerung: „Zur Tür hinaus, wer sich entzweit!“ (V. 2082). Der Begriff „entzweit“ ist hier als der Bruch einer Freundschaft zu verstehen und soll damit zum Ausdruck bringen, dass es in der Gemeinschaft keinen Streit geben soll, da man in Freude zusammen sein möchte.
Seine Vorstellung von der Feierlichkeit präzisiert Siebel wie folgt: „Mit offner Brust singt Runda, sauft und schreit/ Auf! Holla! Ho!“ „Runda“ ist ein Gesang, bei dem der Becher herumgereicht wird. Die Verse lassen den Eindruck einer lauten, betrunkenen Stimmung entstehen. Auch in dieser Aussage hält ein reicher Paarreim die Verse zusammen.
Ein lautes Aufstöhnen folgt aus der Richtung des vierten Mannes. Auch hier ein rührender Paarreim „verloren“-„Ohren“. Er reagiert auf den schlechten Gesang seines Gefährten, indem er sich beklagt und Baumwolle fordert, um seine Ohren damit zu verschließen.
Doch Siebel hat für ihn nur Spott übrig und verweist auf den Widerschall des Gewölbes, welches seine Bassstimme noch besser in Szene setzt, und zwar bis hin zu dessen „Grundgewalt“. Auch hier findet sich ein rührender Paarreim.
In die Neckerei zwischen Altmayer und Siebel greift nun Frosch ein, der, die Aussage Siebels zuvor aufnehmend, kommentiert: „So recht hinaus, mit dem der etwas übel nimmt“ (V. 2087) und diesen versöhnenden Worten eine Gesangzeile „A! tara lara da!“ anhängt, die von Altmayer sogleich als Repetitio wieder aufgegriffen wird.
Daraufhin stellt Frosch fest: „Die Kehlen sind gestimmt“ (V. 2089). Schließlich haben sich die Männer bereits an einigen Gesangzeilen geübt. Nun stimmt er ein Lied an: „Das liebe, heil’ge Röm’sche Reich,/ Wie hält’s nur noch zusammen?“ (V. 2090-2091). Das Thema kommt dabei durch die Alliteration deutlich zum Ausdruck. Ob es ein solches Lied tatsächlich gegeben hat, lässt sich nicht mehr feststellen.
Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation war ein durch den Römisch-Deutschen König regierter Verband zahlreicher Territorien und deren Landesherren. Für eine Nation oder ein Reich im heutigen Sinn war es zu zersplittert. Die Macht des Regenten war auch in starkem Maß durch die Privilegien der Territorialherrscher begrenzt und so ist die Frage „Wie hält’s nur noch zusammen?“ (V. 2091) durchaus legitim und veranschaulicht die politischen Spannungen der Zeit. Erst 1805 äußerte die Mutter...