Gretchens Kindsmord

Die Gretchentragödie beginnt mit der Szene „Straße“, in der sich Gretchen und Faust zum ersten Mal begegnen, und endet mit der Szene „Kerker“, in der erst die ganze Tragik von Gretchens Schicksal vollständig offenbart wird. Zuvor finden die Leser und Leserinnen ausschließlich Hinweise auf das Schicksal der jungen Frau, die teilweise von der Figur selbst vorgebracht, teilweise von anderen Figuren, Prophezeiungen oder Visionen unspezifisch angedeutet werden. 

Um Gretchens Entscheidung für den Kindsmord nachvollziehen zu können, bedarf es eines Blickes auf ihre dramatische Geschichte: Gretchen hat außerhalb der Ehe mit Faust geschlafen und ist schwanger geworden. Sie hat den Tod ihrer Mutter und ihres Bruders mitverschuldet und wurde von dem Gelehrten, der mit Mephisto flüchtete, allein gelassen. Das gemeinsame Kind brachte sie zur Welt und ertränkte es. Anschließend floh sie, bettelte, wurde gefangen, in einen Kerker eingesperrt und zum Tode verurteilt. 

Unsere gründliche und chronologische Schilderung von Gretchens Kindsmord beginnt mit der sexuellen Beziehung, die sie mit dem Gelehrten eingeht, und wird mit Gretchens Schande- und Schamgefühlen fortgesetzt, als sie erfährt, dass sie schwanger ist. Von Faust allein gelassen, erlebt sie im Kerker Schuld und Trauer. In den beiden letzten Abschnitten des Textes wird beschrieben, wie der Kindsmord in der Erzählung beschönigt geschildert wird und wie die damalige gesellschaftliche Unbarmherzigkeit und Urteilsunfähigkeit die jungen unglücklichen Frauen schwer trafen.

Sex, Schwangerschaft und Schmach

Die sexuelle Beziehung zwischen Faust und Gretchen deutet sich zuerst in der Szene „Martens Garten“ an. Faust möchte mit Gretchen allein sein: „Ach kann ich nie/ Ein Stündchen ruhig dir am Busen hängen,/ Und Brust an Brust und Seel in Seele drängen?“ (V.3502ff.). Gretchen verweist in ihrer Antwort auf den leichten Schlaf ihrer Mutter. Faust händigt ihr daraufhin ein Schlafmittel aus, das er von Mephisto erhalten hat, um den Schlaf der Mutter zu vertiefen. 

In der Szene „Am Brunnen“ wird durch Lieschens Äußerungen beispielhaft vorgeführt, wie es einem jungen Mädchen der Goethezeit dann erging, wenn es außerhalb der Ehe Geschlechtsverkehr hatte und dabei schwanger wurde. Lieschen spricht von Bärbelchen abschätzig, sie deutet an, dass die Gesellschaft die junge Frau demütigen und ausschließen wird. Gretchen reagiert darauf mit Mitleid und Bedauern. Ihr Monolog, der die Szene abschließt, macht deutlich, dass sie einst selbst...

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