Faust und die Schuldfrage

Gretchens Mutter stirbt im Schlaf; ihr Bruder wird auf der Straße ermordet; sie selbst ertränkt ihr uneheliches Kind und flüchtet, wird verhaftet, zum Tode verurteilt und schließlich hingerichtet – Wer trägt die Schuld an allen diesen Ereignissen? Diese Frage ist wohl die Kernthematik in Johann Wolfgang Goethes „Faust. Der Tragödie erster Teil“ von 1808. Dem Teufel allein die Schuld zu geben, wäre viel zu einfach, den Verführer zu beschuldigen, nur halb richtig, hatte doch die Verführte ebenso einen eigenen Willen – doch wie verteilen sich die Anteile der Schuld? Eine detaillierte Analyse soll im Folgenden dieser Frage auf den Grund gehen.

Betrug und Selbstbetrug

Faust Drang nach Erkenntnis hat ihn in die Verzweiflung getrieben. Zu gern möchte er verstehen „[…] was die Welt/ Im Innersten zusammenhält“ (V. 382f.) und damit zu der höchsten Erkenntnis gelangen, gottgleich werden. Als er das Vorhaben weder durch Wissenschaft noch durch Magie bewerkstelligen kann, resigniert er, gibt die Wissenschaft auf und überschreibt sich dem Teufel, um die Sinnlichkeit des Menschen zu erfahren.

Zum Zeitpunkt des Paktes weiß Faust, dass Mephisto ein Betrüger ist: „Doch hast du Speise die nicht sättigt, hast/ Du rotes Gold, das ohne Rast,/ Quecksilber gleich, dir in der Hand zerrinnt,/ Ein Spiel bei dem man nie gewinnt,/ Ein Mädchen, das an meiner Brust/ Mit Äuglein schon dem Nachbar sich verbindet,/ Der Ehre schöne Götterlust,/ Die wie ein Meteor verschwindet“ (V. 1678-1685). Der Gelehrte weiß folglich, dass der Teufel einem Menschen nur durch Betrug und nur so lange, bis dieser aufgedeckt ist, Glück verschaffen kann. Auf dieses Wissen baut er auch die Wette auf: „Kannst du mich schmeichelnd je belügen/ Dass ich mir selbst gefallen mag,/ Kannst du mich mit Genuss betriegen;/ Das sei für mich der letzte Tag!“ (V. 1694-1697).

Faust bittet um sinnlichen Betrug, ebenso sieht er voraus, dass das Glücksgefühl nicht lange andauern wird, sondern lediglich den Wunsch nach ewiger Dauer erwecken soll: „Werd ich zum Augenblicke sagen:/ Verweile doch! du bist so schön!“ (V. 1699f.). Unter diesen Bedingungen lässt sich Faust auf den Teufel ein, und zwar mit dem Ziel, die Sinnlichkeit in allen ihren Facetten zu erleben: „Du hörest ja, von Freud‘ ist nicht die Rede./ Dem Taumel weih ich mich, dem schmerzlichsten Genuss,/ Verliebtem Hass, erquickendem Verdruss./ Mein Busen, der vom Wissensdrang geheilt ist,/ Soll keinen Schmerzen künftig sich verschließen,/ Und was der ganzen Menschheit zugeteilt ist,/ Will ich in meinem innern Selbst genießen,/ Mit meinem Geist das Höchst‘ und Tiefste greifen,/ Ihr Wohl und Weh auf meinen Busen häufen,/ Und so mein eigen Selbst zu ihrem Selbsterweitern,/ Und, wie sie selbst, am End auch ich zerscheitern“ (V. 1765-1775). Damit plant der Gelehrte auch das Leid, den Schmerz und das Scheitern ein. Hinzu kommt, dass Faust zuvor den christlichen Werten abschwört: „Fluch sei der Hoffnung! Fluch dem Glauben,/ Und Fluch vor allen der Geduld!“ (V. 1605f.).

Der Teufel seinerseits hat bei dem Pakt ebenso keine guten Gedanken. Er ist nicht wirklich gewillt, Faust tatsächlich glücklich zu machen: „Er soll mir zappeln, starren, kleben,/ Und seiner Unersättlichkeit/ Soll Speis und Trank vor gier’gen Lippen schweben;/ Er wird Erquickung sich umsonst erflehn […]“ (V. 1862-1865).

Die Hexenküche und der Verjüngungstrank

Auf dieser Ausgangsbasis begeben sich die ...

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