Faust und die Religion

In Johann Wolfgang Goethes „Faust. Der Tragödie erster Teil“ von 1808 spielt die Religion eine durchaus wichtige Rolle. Die Thematik durchzieht das gesamte Werk. Bereits im „Prolog im Himmel“, welcher den Rahmen des Geschehens bildet, werden Gott und Teufel zur Quelle der Geschichte, zu bestimmenden und lenkenden Figuren. Die Erde als Schöpfung des Herrn wird von den Engeln gelobt, die Menschen als ein Makel der Schöpfung von Mephisto kritisiert, und während das Dasein der Göttlichkeit in diesem Prolog so selbstverständlich dargeboten wird, liegt die Welt in einer Spannung zwischen Glauben und Zweifel, zwischen Gottesfurcht und Sünde. Diese beiden Pole werden im Drama treffend durch Gretchen und Faust verkörpert.

Fausts Entwicklung

Betrachtet man Fausts Äußerungen über seine Kindheit und Jugend, so stellt man fest, dass er in einer Familie aufgewachsen ist, die christliche Werte lebte und religiöse Praktiken ausübte: „Und doch an diesen Klang von Jugend auf gewöhnt,/ Ruft er auch jetzt zurück mich in das Leben.“ (V. 769f.). Diese Äußerungen in Bezug auf den Glockenklang und den Chorgesang beweisen, dass Faust seit der Jugend diesen Laut nicht nur vernommen hat, sondern auch an diesen „gewöhnt“ wurde, was eine Religionspraxis nahelegt. Auf dieselbe Kirchenmusik bezogen, die ihn einst vor dem Selbstmord rettete,  sagt der Gelehrte auch: „Wenn aus dem schrecklichen Gewühle/ Ein süß bekannter Ton mich zog./ Den Rest von kindlichem Gefühle/ Mit Anklang froher Zeit betrog“ (V. 1583-1586).

Das „Gwöhnt-Sein“ legt nahe, dass Fausts Familie in seiner Kinder- und Jugendzeit die religiösen Rituale praktizierte. Dies bedeutet jedoch nicht unbedingt, dass sie gläubig war. Sowohl zur Goethezeit als auch heute wurde und wird die Religion besonders in den bürgerlichen Kreisen als eine gesellschaftliche Pflicht erfüllt. Dabei ist der christliche Glaube nicht entscheidend. Die Religiosität ist dann als gesellschaftlicher Druck zu verstehen, als eine Sammlung kultureller Phänomene, die das Verhalten, Denken und Handeln der Menschen sowie ihre Wertvorstellungen innerhalb einer Gemeinschaft normativ prägen. Konventionen, wie Taufe, Kommunion oder Konfirmation, der sonntägliche Kirchenbesuch und die Feierlichkeiten zu Ostern und Weihnachten gehören zu den gesellschaftlichen Verpflichtungen und scheinen auch in der Familie Fausts einen festen Platz eingenommen zu haben.

Doch Fausts jugendliche Bindung zu Gott g...

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