Faust und die Liebe

Einleitung

„Er liebt dich“ (V. 3815), sagt Faust zu Gretchen in der Szene „Garten“. Doch bedeutet dies nun, dass er – Heinrich Faust – Liebe für sie empfindet? Und wenn ja, warum sagt er dann nicht einfach: „Ich liebe dich“? Kann Faust überhaupt Liebe empfinden? Was veranlasst den Gelehrten dazu, die Beziehung zu Gretchen einzugehen? Diese Fragen werden häufig zu schnell beantwortet. 

Zu schnell spricht man von einer „Liebesbeziehung“ zwischen Gretchen und Faust. Doch ein kritischer Blick lohnt sich. Schließlich sind es kein Zufall und auch kein Teufelswerk, dass die Beziehung zwischen den beiden Protagonisten aus Johann Wolfgang Goethes „Faust. Der Tragödie erster Teil“ von 1808 so ein schlimmes Ende findet. 

Vielmehr ist dieser Ausgang der Beziehung zwischen Faust und Gretchen seit ihrem ersten Treffen Programm, denn der Universalgelehrte, der mit Mephisto eine Wette eingeht, ist nicht nur vom Teufel eingenommen, sondern ebenso auch verzweifelt, des Lebens müde und lieblos. Die Liebe scheint ihm in allen Bereichen seines Lebens zu fehlen: in Bezug auf Beruf, Umgebung, Gott, zwischenmenschliche Beziehungen und eben auch Gretchen. Diese These soll nachfolgend genauer untersucht werden.

Die Liebe zum Beruf

Zu Beginn des Dramas treffen die Rezipienten den Universalgelehrten Dr. Heinrich Faust in einer Existenzkrise an. Er ist verzweifelt, denn er hat erkannt, dass alle seine Studien der Medizin, Jurisprudenz, Philosophie und Theologie, denen er sein ganzes Leben gewidmet hat, ihm nicht die ersehnte Erkenntnis darüber haben verschaffen können, „was die Welt/ Im Innersten zusammenhält“ (V. 382f.). Der Weg zur höchsten Erkenntnis bleibt Faust versperrt. Sein Streben nach dem Übermenschlichen bleibt erfolglos. Auch die Magie kann ihm nicht dabei helfen, dieses Problem zu lösen. 

Faust ist rastlos, nächtelang bleibt er wach, kein Tag bereitet ihm Freude. Er denkt sogar über Selbstmord nach. Folglich ist er kein Mensch, der das Leben liebt, denn sein Leben steht ganz im Dienste der Wissenschaft, ist also mit seinem Beruf gleichzusetzen, von dem der Gelehrte nun vollkommen enttäuscht ist. 

Womöglich hat er einst Liebe für seinen Beruf empfunden. Zu seinem Schüler Wagner sagt er in Bezug auf die Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen: „Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen,/ Wenn es euch nicht von Herzen geht.“ (V. 544f.). Das Forschen und Lehren sollen dem Forscher und Dozenten folglich die Erfüllung bringen. Diese Erfüllung soll aber aus der Seele des Menschen entspringen, nicht aus den Büchern und Pergamenten, die er bearbeitet: „Das Pergament ist das der heil’ge Bronnen,/ Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?/ Erquickung hast du nicht gewonnen,/ Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt.“ (V. 566-569). Der Gelehrte spricht hier von der Erfüllung durch den Beruf und die eigenen Studien, von der Liebe zu dem, was man tut. Es liegt nahe, dass er aus Erfahrung...

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