Charakterisierung Gretchen
Die Figur der Margarete, auch Gretchen genannt, lehnt sich an tatsächliche historische Begebenheiten und biographische Hintergründe Goethes an. Goethe war Zeuge des Prozesses der jungen Dienstmagd Susanna Margaretha Brandt, die 1772 hingerichtet wurde, weil sie ihr Kind getötet hatte. Goethe hat sich mit Einzelheiten des Prozesses detailliert auseinandergesetzt und einiges davon mit in die Faust-Tragödie übernommen. So war z. B. der Bruder Susanna Margaretha Brandts wie Valentin ebenfalls Soldat. Ebenso ist zu vermuten, dass Goethes Jugendliebe zu einer jungen Pfarrerstochter Einfluss auf seine Konzeption der Gretchen-Figur hatte. Die Liebschaft mit ihr hat er von einem Tag auf den anderen beendet.
Zwei Heiligenlegenden dürften Goethe ebenso inspiriert haben:
1. Die Legende der Heiligen Margareta von Cortona, die mit einem Adeligen unverheiratet zusammenlebte, ein Kind von ihm hatte und sich dafür ihr Leben lang der Buße unterwarf.
2. Das Schicksal der Margareta von Antiochia, die sich der Heirat mit einem römischen Prätor verweigerte und dafür im Kerker saß. Der Legende nach wurde sie dort vom Teufel in Gestalt eines Drachen bedrängt, den sie aber bezwingen konnte.
Die Namensgebung des Gretchens ist vor diesen Hintergründen nicht zufällig gewählt, sondern an verschiedene Bedeutungen anknüpft. Im 18. Jahrhundert war der Name Gredt oder Gretlein die Bezeichnung für ein „liederliches Mädchen“. Dass Goethe in der Namensgebung zwischen Margarete und Gretchen wechselt, ist für die Charakterisierung von entscheidender Bedeutung. Der Name Margarete steht für das reine tugendhafte Mädchen. Der Wechsel in der Regieanweisung zu Gretchen erfolgt in den Szenen, in denen Margarete sich ihrer Liebe zu Faust bewusst wird und ihre Sündhaftigkeit zur Sprache kommt („Gretchens Stube“, „Zwinger“, „Am Brunnen“, „Dom“).
In der Tragödie erfährt der Leser viel über Margaretes biographischen Hintergrund. Sie ist ein junges, etwa 14-jähriges Mädchen, gerade im heiratsfähigen Alter. Sie lebt mit ihrer Mutter allein, da ihr Vater gestorben und ihr Bruder als Soldat in der Ferne lebt. Ihre Schwester, die früh verstorben ist, hat sie liebevoll bis zu ihrem Tod umsorgt.
Margarete entstammt einem kleinbürgerlichen Milieu, das von peniblen Werte- und Moralvorstellungen und Konventionen geprägt ist. In der Szene „Garten“ berichtet Margarete Faust von ihrem bisherigen Leben. Aufgewachsen ist sie in durchaus wohlhabenden Verhältnissen; ihr Vater hatte ein „hübsch Vermögen“ (Z. 3117, S. 95),...