Sprache
So vielfältig wie die unterschiedlichen Bauformen der Tragödie ist auch die Sprachausgestaltung.
Goethe verwendet dafür den Knittelvers, den Madrigalvers, den Blankvers, aber auch den Prosastil.
Goethe wechselt auch hier virtuos zwischen verschiedenen Versformen, Metren und Rhythmen. Dabei können die verwendeten Versmaße recht frei gestaltet werden, sodass eine genaue Modulation an die jeweilige Situation und Figur möglich ist. Je nach Atmosphäre, Geschehen und Charakteristik wird die Sprache mit ihrem spezifischen Rhythmus und Klang zum Vermittler der inneren Gemütslage der Figuren. So lassen sich für jede Figur charakteristische Versmaße finden. Goethe lässt die Versmaße ineinander übergehen und gestaltet sie in sich neu. Die Charaktere der Figuren können so, oft im Kontrast zueinander stehend, sichtbar gemacht werden.
Der Sprachgebrauch ist dabei entscheidend. Während sich Margarete einer naiven, einfach gehaltenen Ausdrucksweise bedient, ist Fausts Sprache wesentlich komplexer. Besonders in den Dialogen zwischen Faust und Margarete wird dies deutlich. Mephistopheles ist hingegen ein Sprachvirtuose, der es versteht, mit zahlreichen Wortspielen und Witzen dem Gesagten einen ironisch-kritischen Gehalt zu verleihen.
Knittelvers
Der Knittelvers ist ein vierhebiger Vers mit beliebig vielen Senkungen, der dabei immer im Paarreim erfolgt. Das ursprünglich deutsche Versmaß findet sich vor allem in der Dichtung des 15. und 16. Jahrhunderts wieder, wie etwa in den Fastnachtsspielen von Hans Sachs. Ein wesentliches Merkmal des Knittelverses wird damit bereits deutlich: Er kommt dann zum Einsatz, wenn etwas Volkstümliches, Altdeutsches oder Bieder-Konservatives zum Ausdruck gebracht werden soll. Im Faust sind es beispielsweise die Bauern, auf die Faust vor den Toren der Stadt trifft, die im Knittelversmaß sprechen: “Gesundheit dem bewährten mann,/Daß er noch lange helfen kann!“ (Z.1007-111, S.32).
Ebenso ist die Sprache des Schülers, mit dem Mephistopheles seine Unterredung führt, zu Beginn des Gespräches im Knittelvers gehalten: “Ich bin allhier erst kurze Zeit,/ Und komme voll Ergebenheit,/ Einen Mann zu sprechen und zu kennen,/ Den alle mir mit Ehrfurcht nennen.“ (Z. 1868-1871, S.56).
Auch die derbe Ausdrucksweise der Zechkumpanen in „Auerbachs Keller“ ist teilweise im Knittelvers gefasst: “Ein braver Kerl von echtem Fleisch und Blut/ Ist für die Dirne viel zu gut./ Ich will von keinem Gruße wissen,/ Als ihr die Fenster eingeschmissen“ (Z.2115-2118, S.63). Goethe gestaltet den Knittelvers hier freier und unregelmäßiger und setzt dabei nicht immer den Paarreim ein.
Die Derbheit der Walpurgisnacht wird sowohl von den Hexen als auch von Faust und Mephistopheles im Knittelvers transportiert. Auch Valentins Sprache ist im Knittelversen gestaltet und bringt seine konservative, altdeutsche Denkweise zum Ausdruck: “Ich sage, laß die Träne sein!/ Da du dich sprachst der Ehre los, (...)“ (Z. 3771-3772, S.116).
Daneben bestimmt der Knittelvers auch die Gretchentragödie und die naive, einfache Sprache Margaretes:“ Ich gäb was drum, wenn ich nur wüßt,/ Wer heut der Herr gewesen ist!/ Er sah gewiß recht wacker aus,/ Und ist aus einem edlen Haus; (...)“ (Z. 2678-2681, S.82. Hier zeigt der Knittelvers keine Derbheit und Überheblichkeit, sondern Margaretes bescheidenes und tugendhaftes Wesen.
Auch Faust wird der Knittelvers an vielen Stellen zugeordnet. Mit der Möglichkeit, die Senkungen beliebig zu gestalten, eignet er sich dafür, Stimmungen der inneren Unruhe und Heftigkeit auszudrücken, wie der Anfang des Eingangsmonologs in der Szene „Nacht“: „Habe nun, ach! Philosophie,/ Juristerei und Medizin,/ Und leider auch Theologie!/ Durchaus studiert, mit heißem Bemühn. (...)“ (Z.354-357, S.14). Fausts Unzufriedenheit mit seiner krisenhaften Lage kommt besonders durch die Unregelmäßigkeit der Senkungen zum Ausdruck. Sind die Senkungen regelmäßiger, zeigt der Knittelvers dagegen eine innere Beruhigung an: „Und fragst du noch, warum dein herz/ Sich bang in deinen Busen klemmt?/ Warum ein ungeklärter Schmerz/ Dir alle Lebensregung hemmt? (...) “ (Z.410-413, S.15). Fausts Sprache kennzeichnet ein weiteres Versmaß, das seinem Monolog in der Szene „Wald und Höhle“ eine besondere Bedeutung verleiht - der Blankvers.
Blankvers
Der Blankvers ist ein fünfhebiger, reimloser Jambus und der gebräuchlichste Vers der shakespeareschen Dichtung des 16. Jahrhunderts, seit Gotthold Ephraim Lessing der Hauptvers des klassischen deutschen Dramas. Goethe setzt den Blankvers im 'Faust I' nur an einer Stelle, der Szene „Wald und Höhle“, ein: „Erhabner Geist, du gabts mir, gabst mir alles,/ Warum ich bat. Du hast mir nicht umsonst/ Dein Angesicht im Feuer zugewendet./ Gabst mir die herrliche Natur zum Königreich/ Kraft, sie zu fühlen, zu genießen. Nicht/ kalt staunenden Besuch erlaubst du nur,/ Vergönnest mir, in ihre tiefe Brust,/ Wie in den Busen eines Freundes, zu schauen“ (Z. 3217-3224, S.99)“. Faust dankt mit einem Gefühl der Erhabenheit und Ausgeglichenheit dem Erdgeist für sein Empfinden. Der Blankvers drückt diese Hochstimmung, Ruhe und Reflektiertheit aus. Die Sprache Fausts wirkt so hymnisch und feierlich.
Freie Rhythmen
Die innere...