Filmrezension

Immer wieder werden kleine Details auseinandergeschnitten und in andere Szenen eingefügt. Dies ist natürlich dem filmischen Ablauf geschuldet, doch an manchen Stellen verzerrt dies das Bild. So ist beispielsweise das Gespräch über Lottes Vorliebe für Bücher erst nach dem Ball eingefügt. Dennoch lassen sich alle wichtigen Schlüsselszenen im Film wiederfinden, wie zum Beispiel der Ball, die Begegnung mit dem Pfarrer, das Gespräch über Selbstmord etc., wenn auch oft in veränderter und kombinierter Form, die aber immer die eigentliche Kernaussage der Szene beinhaltet und die Handlung stützt. Auch werden einige wichtige Angaben zu den Personen verändert: Lotte ist noch nicht verlobt. Dadurch wird Werthers Begehren eher verständlich und menschlicher.

Überhaupt ist die Darstellung der Figur Werthers sehr entzerrt und zeigt nur wenig von der teilweise überbordenden Emotionalität, die die Figur im Text entfaltet. Auch wenn der Schauspieler sich alle Mühe gibt, die innere Zerrissenheit Werthers darzustellen, so erkennt man doch, dass durch die Konzentration auf die Außenseite der Handlung viel von der eigentlichen Intention verloren geht. Auch wenn manche Briefe in Auszügen vorgelesen werden, so bleibt doch die Intensität des Filmes weit hinter der Intensität des Textes zurück.

Die Beziehung zu Lotte wird von Anfang an als sehr intim aufgezeigt. Immer wieder gibt es Szenen, in denen beide sich fast küssen. Einmal will Werther ihr sogar an den Hintern greifen und teilt dies dem Zuschauer mit. Von seiner Empfindsamkeit ist Lotte allerdings eher genervt als beeindruckt. Auch seine körperliche Zuneigung ist ihr in vielen Szenen zu aufdringlich. Als er im zweiten Buch nach Wahlheim zurückkehrt, wird ihre Abwendung von Albert auch bei der Szene am Kaffeetisch verdeutlicht. Sie zieht ihren Ring aus und beginnt auf dem Cembalo zu spielen.

Werthers Verhältnis zu den Kindern vermittelt sich dem Zuschauer eher so, dass Werther selbst noch ein Kind zu sein scheint. Dass er in ihnen die reineren Geschöpfe sieht, wird kaum deutlich.

Zusammenfassend muss man festhalten, dass zwar viele Details verändert, verschoben und neu miteinander kombiniert wurden, es der Regisseur aber dennoch geschafft, den Ablauf der Handlung und die Entwicklung des Konfliktes nachvollziehbar darzustellen.

Der Film kann sich ebenfalls filmischer Mittel bedienen, die den geistigen Verfall Werthers sehr deutlich zeigen. Dazu gehören beispielsweise die Szene beim Grafen von C.., der Blick in den Spiegel beim Schneider, der Biss in den Fisch oder die Mordfantasien an Albert, bei denen sogar eine Katze das Porzellan auf dem Kaffeetisch zerstört.

Auch thronen in den letzten Szenen immer wieder die beiden Pistolen über dem Kopf von Albert, der diese an der Wand hinter seinem Schreibtisch aufgehängt hat. Dies deutet bereits an, dass Albert und die Waffen schlussendlich Werthers Tod bewirken.

Wilhelm fragt zu Beginn des Filmes, ob sich Werther wirklich nur wegen der Liebe erschossen hat – oder wegen des Ganzen. Es zeigt sich, dass der Film ganz besonders Werthers Unvermögen in den Vordergrund stellt, sich den gesellschaftlichen Gegebenheiten zu unterwerfen und die damit verbundene Unmenschlichkeit zu akzeptieren. Immer wieder sucht er nach jemandem, der seine Emotionalität versteht und respektiert.

Besonders die gehobene Gesellschaft und der Geldadel werden wie leblose Marionetten dargestellt, die dem Wahnsinn sehr nahe sind. Dies sieht man sehr deutlich bei der Szene, als Werther beim Grafen von C.. ist oder als Reinhardt gefangen genommen wird. An dieser Stelle erkennt man auch, dass der Film aus der ehemaligen DDR stammt. Das einfache Volk zeichnet sich durch Mitgefühl und Fürsorge untereinander aus, die reichen Leute dagegen nur durch ihre fehlende Emotionalität und Gehässigkeit.

Auch Werthers Umgang mit seinem eigenen Vermögen entspricht der sozialistischen Vorstellung. Stets gibt er von seinem Essen ab und drückt den Kindern ein Stück Geld in die Hand. Es ist daher auch am Ende „das Ganze“, das Werther in den Selbstmord treibt. Daher wird auch die Szene mit dem Verrückten ausgespart, um beide Elemente – die Liebe, wie auch die Gesellschaft – gleichberechtigt nebeneinander stehen zu lassen und als Grund für seinen Untergang anzugeben. Dies verdeutlicht auch die letzte Szene, in der sein vermeintlicher Freund Albert sich nach seinem Tod über seine Gutgläubigkeit lustig macht.