Der Roman im Sturm und Drang
Der Roman galt zur damaligen Zeit als eine niedere Literaturgattung. Autoren, die etwas auf sich hielten, verfassten kluge Abhandlungen über philosophische oder literarische Themen, schrieben Gedichte und Tragödien. Erst in der Epoche der Romantik wurde der Roman als literarische Form etabliert und im Laufe der Zeit auch von den größten Kritikern als hohe Literaturgattung akzeptiert.
Goethes Werk „Die Leiden des jungen Werther“ brach mit der literarischen Konvention, einen Stoff wie einen Selbstmord in einem literarischen Werk zu verarbeiten. Die antike Tragödie, die zu dieser Zeit das gängige Konzept für ein Theaterstück lieferte, und die damalige Literatur im Allgemeinen lehnte nämlich die Darstellung von Gewalt und Verbrechen in jeder Hinsicht ab. Zudem waren in der Tragödie nie bürgerliche Figuren zu finden. Solche Themen galten als unsittlich und konnten nicht der moralischen Weiterentwicklung dienen, zu der damals die Literatur ihren Teil beitragen wollte.
Die Wahl des Briefromans ermöglichte es Goethe, das Erleben Werthers in den Vordergrund zu stellen und diese Ausführlichkeit mit der geschickten Wahl der Erzählstimme zu rechtfertigen. Werthers unkonventioneller Schreibstil, seine offenherzige und direkte Art, sich zu äußern und zu handeln, sowie se...