Michael Kohlhaas' Rachefeldzug

Stufen der Rache

Kohlhaas tritt als selbstbewusster Bürger auf. Seinem Wesen entspricht es nicht, sich zu unterwerfen. In keinem Augenblick der Handlung begegnet er den Adligen und damit den gesellschaftlich Höhergestellten mit einer devoten Handlung, nicht einmal während seiner Hinrichtung lässt er sich seinen Stolz nehmen. Aus seinem Rechtsgefühl und dem natürlichen Stolz resultiert die Eskalation der Gewalt gegen die Tronkenburg, Leipzig und unschuldige Bürger. Nachdem Kohlhaas` Klage abgewiesen worden ist, hätte er auch aufgeben können und die Sache, wenn auch enttäuscht, auf sich beruhen lassen können. Angesichts der charakterlichen Beschaffenheit der Figur ist ihr dieser Schritt aber nicht möglich. Stattdessen fühlt er sich herabgewürdigt. Die „erlittene Kränkung“ (S.13) bedeutet ihm gleichsam dasselbe, als wenn man ihn mit „Füßen getreten“ (S.22) hätte.

Michael Kohlhaas ausgeprägtes Rechtsgefühl ist seinem Wesen nach eine positive Eigenschaft. Da er den Rechtsbruch von Wenzel von Tronka aber als persönliche Kränkung interpretiert und sich somit in seinem Stolz verletzt fühlt, wird dieser Zug seiner Figur zur Schwäche, denn als Resultat nimmt Kohlhaas gewaltsam Rache. Dadurch wird das Vorgehen des Kohlhaas emotional aufgeladen. Somit kann zwischen Kohlhaas` juristischem Kampf und seinem staats- und rechtsphilosophischen Gedankengut und seinen persönlichen, emotionalen Interessen nicht mehr klar differenziert werden. 

Der emotionale Auslöser für Michael Kohlhaas Raserei ist Lisbeths Tod, nach dem er endgültig das „Geschäft der Rache“ (S.25) übernimmt. Nicht nur der Rechtsverstoß des Junkers treibt Kohlhaas zur Gewalt, sondern auch sein emotionaler Verlust. Dies sagt die Figur selbst: „Es hat mich meine Frau gekostet; Kohlhaas will der Welt zeigen, dass sie in keinem ungerechten Handel umgekommen ist “ (S.38).

Während Kohlhaas sich auf den Rachefeldzug begibt, kann er nicht mehr als eine Figur betrachtet werden, die den erläuterten staats- und rechtsphilosophischen Überlegungen Rechnung trägt. Er übt einfach Selbstjustiz. Auch das Fehderecht scheidet als Begründung seiner Handlungen aus, weil er kein Adliger ist und daher kein Recht auf eine Fehde hat. Kohlhaas ist schlicht von Rache getrieben, das heißt, er handelt irrational. Das zeigt sich etwa dann, wenn er auf der Tronkenburg einen Knecht „die Peitsche fühlen“ lassen will, sollte dieser „bei Erfüllung des Rechtsschlusses in den Ställen von Kohlhaasenbrück faul“ (S.25) sein. Kohlhaas tritt hier nicht als ein von der Vernunft geleiteter Staatsbürger auf, sondern als ein von Wut getriebener Mann. Gegenüber dem Kurfürsten nimmt er eine ähnliche, irrationale Haltung ein: „ich aber kann dir weh tun, und ich wills“ (S.71). Kohlhaas ist sich der Tatsache bewusst, dass er von Rache getrieben ist, denn er widerspricht Martin Luther nicht, als dieser ihm eigenmächtige Selbstjustiz vorwirft.

Das erste Racheobjekt: Wenzel von Tronka

Seine Rache bzw. sein Verlangen nach Selbstjustiz konzentriert Michael Kohlhaas auf Wenzel von Tronka als Urheber des Rechtsbruchs un...

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