Stilmittel
Wortwahl und Grammatik
Das sofort ins Auge fallende Stilmittel in dieser Novelle zeigt sich schon im Titel: Namen und Ortschaften werden abgekürzt, und es bleibt unbekannt, wo genau die Figuren eigentlich herstammen: die Marquise von O..., die in M...mit ihren Eltern, dem Obristen und der Obristin von G..., lebt (S. 3). Auch das eine wichtige Datum, das in der Handlung eine Rolle spielt, ist nur angedeutet: der 3. (34). Durch diese Verkürzungen entsteht ein Eindruck von etwas Mythischem, das sich um die Geschichte rankt.
„Die Marquise von O…“ ist stilistisch ungewöhnlich, aber gut verständlich geschrieben. Es handelt sich bei dem Sprachlichen um ein gehobenes Hochdeutsch, das den adligen gesellschaftlichen Kreis und die Zeit, in der die Handlung sich abspielt, widerspiegelt. So ist es z. B. die Norm in der Novelle, dass die Tochter ihre Eltern siezt (z. B. S. 38 f.). An einigen Stellen findet man Fremdwörter, die zum Nachschlagen anregen sollten, z. B. Detachement (S. 5), Adjutant (S. 15), Domestikenstube (S. 15) oder konvulsivisch (S. 22).
Viele Begriffe, zu denen auch die beiden Erstgenannten gehören, stammen aus dem militärischen Vokabular. Der Graf F…, sein Vorgesetzter, der Vater der Marquise und der Onkel des Grafen, haben alle militärische Ränge und werden mit ihnen bezeichnet. Man erkennt hier auch Kleists genaue Kenntnisse auf diesem Gebiet. Einige Begriffe sind schlicht etwas veraltet, z. B. der Titel „Obrist“ (S. 3), mit dem der Vater der Marquise oft bezeichnet wird, der heute „Oberst“ heißt. Auch Ausdrücke, wie sich „unterjochen lassen“ (S. 33), sind heute eher ungewöhnlich, wenn auch noch nicht vom Sprachgebrauch ausgeschlossen.
Sehr häufig werden in dieser Novelle die Aussagen der Figuren in indirekter Rede wiedergegeben, und zwar mit Verwendung des Konjunktiv I, z. B.: „Der Kommandant (…) fragte den Grafen, (…) ob er nicht in seine Zimmer treten wolle? Und ob er sonst irgendetwas befehle? Der Graf erwiderte, (…), dass er untertänigst danke, und dass sein Geschäft abgemacht sei…“ (S. 15)
Aber auch die umgangssprachliche Nebensatz- „dass…würde“- Konstruktion findet man: „Der Forstmeister äußerte, dass ein solcher Schritt gerade das Gegenteil bewirken, und ihn nur in der Hoffnung, durch seine Kriegslist zu siegen, bestärken würde.“ (S. 14)
Seltener kommt die direkte Rede vor, doch sie ist durchaus vertreten. Oft wird die direkte Rede dann verwendet, wenn die Figuren etwas ausrufen oder etwas sehr Unmissverständliches sagen wollen.
In manchen Fällen werden die Ausrufe mit Anführungszeichen markiert, in anderen nicht: „Lassen Sie mich augenblicklich! rief die Marquise; ich befehl‘s Ihnen!“ (S. 31) kommt ohne Anführungszeichen aus. Der Ausruf des Grafen „Julietta! Diese Kugel rächt dich!“ (S. 8) wird in Anführungszeichen zitiert, wahrscheinlich, weil es sich um einen nacherzählten Ausruf des Grafen handelt, von dem der Vater der Marquise durch eigene Nachforschungen erfährt.
Summa summarum ist der Umgang mit der direkten und indirekten Rede, mit der Zeichensetzung und den Konjunktivformen nicht einheitlich und geschieht auch nicht nach einem bestimmten Muster.
Auffällig im Sprachstil der Novelle ist die Situation, als der Graf die Familie der Marquise von sich selbst als idealem Ehemann für seine Angebetete überzeugen will. Hier gibt es eine deutliche Aneinanderreihung von Nebensätzen, die mit „dass“ eingeleitet werden:
„Der Graf äußerte (…), dass er seinen ungeduldigen Wünschen (…) dies Schicksal vorausgesagt habe; dass er sich inzwischen dadurch in die äußerste Bekümmernis gestürzt sehe; dass ihm (…) eine nähere Bekanntschaft nicht anders als vorteilhaft sein könne; dass er für seinen Ruf (…) einstehen zu dürfen glaube; dass die einzige nichtswürdige Handlung, die er in seinem Leben begangen hätte, der Welt unbekannt, und er schon im Begriff sei, sie wieder gutzumachen; dass er, mit einem Wort, ein ehrlicher Mann sei, und die Versicherung anzunehmen bitte, dass diese Versicherung wahrhaftig sei.“ (S. 12)
Die Sprachkonstruktion veranschaulicht die Atemlosigkeit wieder, mit der der Graf F… sich äußert. Seine Gedanken werden ohne Pause in Nebensätzen aneinanderreiht. Er hat es nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich offensichtlich sehr eilig. Er muss all das, was ihm auf dem Herzen liegt, schnell erzählen.
Der Sprachstil des Grafen F… wirkt an manchen Stellen auffällig. Er scheint als ein von außen Kommender, der nicht zur Familie gehört und auch eine andere Nationalität hat, auch durch seine Benutzung der Sprache gekennzeichnet zu sein.
Romantiker oder Klassiker?
Die Frage, ob der Schriftsteller Kleist eher ein Romantiker oder ein Klassiker ist, ist kaum zu beantworten. Doch mit dieser Frage im Hinterkopf springt die Sprache des Grafen dem Leser dennoch ins Auge.
Er berichtet, „dass er, tödlich durch die Brust geschossen, nach P… gebracht worden wäre; dass er mehrere Monate daselbst an seinem Leben verzweifelt hätte; dass währenddessen die Frau Marquise sein einziger Gedanke gewesen wäre; dass er die Lust und den Schmerz nicht beschreiben könnte, die sich in dieser Vorstellung umarmt hätten; dass er endlich, nach seiner Wiederherstel...