Aufbau

Keine Kriminalgeschichte

„Die Marquise von O…“ ist eine der bekannteren Novellen des deutschen Schriftstellers Heinrich von Kleist. Sie wurde im Jahre 1808 zum ersten Mal veröffentlicht und wegen ihres skandalösen Inhalts vom größten Teil der Leserschaft scharf kritisiert, abgelehnt oder gar missachtet. Die Handlung dreht sich um eine junge verwitwete Marquise, die, ohne zu wissen, wie es dazu gekommen ist, schwanger geworden ist und nun ihre Familienehre wiederherstellen muss. Sie heiratet am Ende einen russischen Offizier, den Grafen F…, der sich als Erzeuger stellt.

Zu der Frage, wie man den Aufbau der Novelle beschreiben kann, was für eine Gliederung also zu erkennen ist oder wo der Höhepunkt, der Wendepunkt oder wichtige Zäsuren zu finden sind, gibt es verschiedene Antworten (Saarland Lehrplan: S. 5f.) und es soll sich hier nicht auf eine festgelegt werden. Einige Aspekte der Komposition und die wichtigsten Auffälligkeiten in der Struktur kann man aber herausstellen.

Die Erzählung ist einerseits wie eine Kriminalgeschichte gestaltet. Es gibt einen mysteriösen Fall, nämlich die überraschende Schwangerschaft der Hauptfigur. Ein „Täter“ wird gesucht. Erst am Ende gibt der Täter sich der betroffenen Schwangeren zu erkennen.

Doch die Novelle ist trotzdem keine Kriminalgeschichte. Denn während die Protagonistin noch rätselt und den Erzeuger ihres ungeborenen Kindes sucht, weiß der aufmerksame Leser bereits nach einigen nicht allzu dezenten Hinweisen (s. u.), dass es sich bei demjenigen um den Grafen F… handeln muss. Während also für die Marquise von O… die Offenbarung des Erzeugers einen Höhepunkt in der Geschichte darstellt, ist dieser Moment für den Leser bereits voraussehbar und keine wirkliche Klimax. Es scheint etwas seltsam, dass die Marquise und ihre Familie die Hinweise nicht wahrnehmen, denn das, was der Leser erfährt, ist genau das, was auch die Figuren erleben. Dennoch, für den Leser wird das Rätsel um die Schwangerschaft retardierend aufgelöst (SLP: S. 5), also langsam, schrittweise, verzögernd, und für die Figuren mit einem Schlag.

Die vier Heiratsanträge

Statt einer Spannungskurve, die kurz vor dem Ende ihren Höhepunkt erreicht und sich dann auflöst, findet man in dieser Novelle eher verschiedene Episoden, deren Rahmen durch bestimmte Merkmale markiert wird.

Als eine solche Markierung könnte man z. B. die wiederholte Wiederkehr des Grafen F… zur Marquise, und zwar in Verbindung mit seinen Versuchen, die Marquise zur Frau zu gewinnen, ansehen. Das erste Mal besucht er ihre Famil...

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