Merkmale der Novelle im Werk

Textlänge

„Er sagt, mein Bericht habe das Zeug zur Novelle“ (S. 123), sagt der Erzähler von „Im Krebsgang“ an einer Stelle in der Handlung. Auch trägt die Geschichte, die in Prosaform verfasst ist, den Untertitel „Eine Novelle“. Im Folgenden wird erläutert, inwiefern diese Bezeichnung auf Günter Grass‘ bekannte Geschichte zutrifft und in welchen Aspekten sie eher untypisch für eine Novelle ist.

Mit ca. 214 Seiten ist „Im Krebsgang“ viel länger als eine Kurzgeschichte, jedoch kürzer als komplexere Romane. Novellen sind typischerweise durch eine mittlere Länge gekennzeichnet und lassen sich innerhalb weniger Stunden durchlesen. Das trifft hier zu, allerdings gehört „Im Krebsgang“ schon zu den besonders langen Novellen innerhalb des Genres.

Linearer Handlungsverlauf

Novellen zeichnen sich typischerweise durch einen geradlinigen Handlungsverlauf ohne Zeitsprünge in Form von Rückblenden und Vorausdeutungen aus. Schon im Titel der vom Autor als „Novelle“ bezeichneten Geschichte „Im Krebsgang“ wird angedeutet, dass die Handlung hier alles andere als chronologisch wiedergegeben wird. Der Erzähler nähert sich „seitlich“, dem Gang der Krebse also entsprechend, den Ereignissen an, die dazu führen konnten, dass sein Sohn nun im Gefängnis sitzt.

Die Geschichte ist von Zeitsprüngen durchzogen, denn sie wird auf unterschiedlichen Zeitebenen erzählt: Die Vorgeschichte der Ermordung des Wilhelm Gustloff ist historisch belegt und spielt in den 1930er Jahren. Die Geschichte von Tulla, die in einem Rettungsboot Paul gebärt, ist in den 1940ern angesiedelt. Konnys Geschichte spielt dagegen in der Gegenwart. Die Erzählung springt zwischen den Zeiten hin und her. Von einem linearen Verlauf in der Handlungswiedergabe oder einer gestrafften Erzählweise kann keine Rede sein.

Unerhörte Begebenheit und Glaubwürdigkeit

Der Begriff der Novelle trägt die Bedeutung von etwas Neuem in sich, was sich schon aus ihrem Namen ableiten lässt (aus dem Italienischen: Neuigkeit). Nach Goethe beschreibt die Novelle eine "sich ereignete unerhörte Begebenheit"[1], also keine alltägliche Situation, sondern ein ganz besonderes Ereignis. Die Handlungen einer Novelle sollen glaubhaft sein. Sie könnten so auch in der Realität passieren.

Die Neuigkeit kommt in „Im Krebsgang“ durch die Verbindung von historischer Nacherzählung und Fiktion zustande. Bei der Geschichte des ermordeten Nationalsozialisten Wilhelm Gustloff und der des Untergangs des nach ihm benannten Schiffes Wilhelm Gustloff handelt es sich um wahre Ereignisse.

Die darauf aufgebaute Handlung um das Schicksal der Tulla Pokriefke, das ihres Sohnes, der diese Geschichte aufarbeitet, und das ihres Enkelkinds, ist frei erfunden. Die Geburt des Erzählers auf dem Rettungsboot während des Untergangs der Gustloff und die Geschichte eines fanatischen rechtsradikalen...

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