Interpretation
Die Interpretation zu „Die Blechtrommel“ dringt tief in den Text ein und legt wichtige Aspekte des Romans aus. Zunächst wird es um das Verhältnis zwischen dem Kindsein und der Erwachsenenwelt gehen.
Dabei wird deutlich werden, dass Oskar Matzerath weniger von der Abscheu gegen die Erwachsenen als vielmehr von dem Fluchtgedanken getrieben ist, diese Welt zu verlassen.
Anschließend werden die verschiedenen Rollen besprochen, die Oskar im Roman innehat. Zum Ersten geht es natürlich um Oskar als Kind, danach um Oskar als Jesus und Hitler und zum Schluss wird Oskars Rolle als Künstler und seine literarischen Vorbilder beleuchtet.
Danach wird das Verhältnis von Kleinbürgertum und Nationalsozialismus ausführlichst anhand des Textes behandelt.
Am Ende steht ein kurzer Exkurs zur Bedeutung der Stadt Danzig für den Roman.
Oskar als Kind
Die Hauptfigur Oskar Matzerath übernimmt im Verlauf der Handlung verschiedene Rollen. Die erste dieser Rollen ist freilich die des ewigen dreijährigen Kindes. Oskar stoppt durch einen Sturz von der Kellertreppe selbst sein Wachstum, um nicht ein Teil der Erwachsenenwelt werden zu müssen. In erster Linie ist es laut Oskar eine Rebellion gegen seinen Vater Alfred Matzerath, der ihn zum Nachfolger im Kolonialwarengeschäft auserkoren hat (S.71).
Oskar protestiert nicht nur gegen die möglichen Pflichten als Erwachsener, sondern auch gegen das engstirnige Kleinbürgertum, für das sein Vater steht, und die damit verbundenen Regeln und Normen. So entzieht sich die Figur bewusst der Welt, die er ablehnt, und macht sich selbst zu einer Karikatur eben jener Welt. Aus dieser Position heraus ist es für Oskar möglich, die Erwachsenen zu beobachten. Da sie ihn aufgrund seiner Kleinwüchsigkeit für zurückgeblieben halten, versuchen sie nicht, sich ihm gegenüber zu verstellen.
Oskar kann einen unverstellten Blick auf die Erwachsenen gewinnen und etwa ihre wahren sexuellen Bedürfnisse offenlegen, etwa im Falle seiner Mutter und von Gretchen Scheffler (S.74). Im Kindergarten bzw. der Schule kann Oskar wiederum einen sehr erwachsenen Blick auf die Erziehungsmethoden richten und erkennt die Unsicherheit der Erzieher (Kapitel „Der Stundenplan“, S.88ff.). Die Rolle des Dreijährigen hält Oskar fast durchgehend bis ins dritte Buch durch und gibt sie erst bei Alfred Matzeraths Beerdigung auf (S.525ff.).
Oskar als Jesus
Die Rolle des Jesus hat Oskar nicht permanent inne, sie schwingt aber des Öfteren mit und Oskar selbst vergisst sie nie. Das Spiel mit dieser Rolle beginnt in der Herz-Jesu-Kirche, in der Oskar glaubt, in der Jesusfigur aus Gips seinen Zwillingsbruder zu erkennen (S.116). Jesus wird für Oskar zur Herausforderung, denn er stellt Oskar selbst in Perfektion dar und überflügelt ihn zeitweise sogar in seinen Fähigkeiten als Trommler (S.295).
Nicht zuletzt aufgrund der folgenden Eigenschaften sind Jesus und Oskar vergleichbare Figuren: Sowohl Oskar als auch das Jesusbaby sind von geringer Körpergröße und haben blaue Augen, Jesus ist in der Herz-Jesu-Kirche im Schoße Marias geborgen und Maria ist der Name von Oskars späterer Geliebten und Jesus nimmt eine Führungsrolle unter den Jüngern ein, ebenso wie Oskar später bei der Stäuberbande. Die im Roman inszenierte „Nachfolge Jesu“ wird durch eine Travestie der neutestamentarischen Berufungsszene des Petrus eingeleitet (dreimaliges „Oskar, liebst du mich?“, S. 296). In eine vollkommene Blasphemie wird das Ganze dann entrückt, wenn vom „Turner am Kreuze“ (S.112f., S.295) die Rede ist. Dadurch wird die eigentliche Wurzel der Figur Oskars offengelegt, die durch Lästerfreude und ein Bündnis mit Satan gekennzeichnet ist.
Die Parallelität zu Jesus wird aber noch an anderen Stellen weitergeführt, nämlich dann, wenn von einer Schwarzen Messe in der Herz-Jesu-Kirche die Rede ist (S.315) und wenn der Prozess gegen die Stäuberbande als ein anderer „Prozess Jesu“ (S.316) bezeichnet wird. Die Himmelfahrt, die einen integralen Bestandteil der Figur Jesus bildet, vollzieht Oskar, als er am Ende bei seinem Prozess auf einer Rolltreppe „gen Himmel“ fährt und sich den Beamten mit den Worten „Ich bin Jesus“ (S.492) vorstellt. Während der Fahrt erfolgt eine Betrachtung von Oskars Leben, die mit einem christlichen Glaubensbekenntnis einhergeht. Der in dieser Szene wiederauferstandene Oskar-Jesus lebt im Diesseits weiter als Insasse einer Heilanstalt. Außerdem posiert Oskar beim Maler Raskolnikoff als Jesus. Oskar ist der radikal säkularisierte Jesus. Jesus ist für ihn die einzige Identifikationsfläche in seiner Welt und trotz der absurden Parallelität der Figuren ist Oskar in seinem triebhaften Wesen alles andere als heilig und bildet eher einen Gegenentwurf zu Jesus.
Oskar als Künstler
Oskar versteht sich selbst als Künstler und wird auch so inszeniert. Sein Trommeln und sein Gesang, der Glas zerstört, begreift die Figur als künstlerische Gaben. Aber auch darüber hinaus bewegt Oskar sich konsequent im Künstlermilieu: Er ist Mitglied des Fronttheaters (u.a. die Kapitel „Bebras Fronttheater“ und „Beton besichtigen – oder mystisch barbarisch gelangweilt”, Model an der Düsseldorfer Kunstakademie (siehe dazu die Kapitel „Madonna“ und „Im Kleiderschrank“) und Schlagzeuger einer Jazzband (siehe dazu die Kapitel „Klepp“ und „Im Zwiebelkeller“). Darüber hinaus ist er Praktikant bei einem Steinmetz (siehe dazu die Kapitel „Feuersteine und Grabsteine” und ” Fortuna Nord”).
Diese künstlerische Tätigkeit bringt Oskar zur bildenden Kunst und ist ihm Ersatz für seine Glas zerstörende Stimme. Darüber hinaus ist sie mit Oskars Passion für Friedhöfe verbunden, denn diese sind für die Figur inmitten des chaotischen und feindlichen Lebens Orte des höchsten Friedens. Sie bieten Oskar die Möglichkeit, sich aus der ohnehin verhassten Erwachsenenwelt zurückzuziehen.
Gleichzeitig versucht Oskar, mi...