Schuld
Habsucht und Profitgier
Ein wichtiges Kennzeichen von Kellers Novellen Romeo und Julia auf dem Dorfe besteht darin, dass sich der tragische Konflikt nicht zufällig entwickelt, sondern aus einer inneren Notwendigkeit resultiert. Demnach ist der Weg in die Katastrophe in der Regel durch schuldhaftes Vergehen motiviert, in das sich die handelnden Parteien immer mehr verstricken, um letztlich daran zugrunde zu gehen.
Als Autor des Poetischen Realismus geht es Gottfried Keller dabei jedoch weder um eine christlich verstandene Form der Erbsünde, die seit dem Adamsfall an jede folgende Generation weitergegeben wird, noch um einen von höheren Mächten verhängten Fluch, der zum Untergang vieler antiker Dramenhelden (z. B. Ödipus) geführt hat. Vielmehr sind die Schuldverstrickung und der daraus resultierende Verfall der Figuren durch ihren Charakter motiviert und begründet.
Dies trifft in der Erzählung in besonderem Maße auf die beiden Bauern Manz und Marti zu: Ihre grundlegende Schuld besteht darin, dass sie aus charakterlicher Schwäche heraus, nämlich aus Habsucht und Profitgier, dem schwarzen Geiger seinen rechtmäßigen Besitz, den verwilderten Acker, der zwischen Manz‘ und Martis Feldern liegt, vorenthalten, um sich stattdessen selbst daran zu bereichern.
Nach drei Jahren, in denen die zwei Bauern ihr Vermögen vermehren und in wechselseitigem Einvernehmen weiterhin Landraub begehen, ersteigert Manz schließlich den bislang herrenlosen Acker. Sein Insistieren auf der Begradigung des von Marti in den Acker geschnittenen Dreiecks führt dann jedoch nicht nur zu einem unerbittlichen Streit zwischen den Bauern, sondern auch zu ihrem finanziellen und moralischen Niedergang.
Schuld und Schulden
In dem Bestreben, ihre Ehre wiederherzustellen und das im Rechtsstreit verlorene Geld wiederzubeschaffen, werden Manz und Marti zu Opfern der Seldwyler Spekulanten, welche die Habsucht der Bauern zu ihren Zwecken ausnutzen: „Je mehr Geld sie verloren, desto sehnsüchtiger wünschten sie[,] welches zu haben...