Szene 8
Moral und Philosophie
Der einfache Soldat Woyzeck muss sich, Marie und das gemeinsame Kind finanziell versorgen. Sein miserables Gehalt als Soldat reicht nicht aus und er muss daher Nebentätigkeiten ausüben. Er hat sich dem Doktor zu medizinischen Versuchen zur Verfügung gestellt, um auf diese Weise täglich zwei Groschen, das Gleiche wie sein Gehalt als Soldat, zu verdienen. Er hat sich für ein Vierteljahr dazu verpflichtet, an der monotonen Erbsendiät teilzunehmen und dem Doktor regelmäßig seinen Urin zur Untersuchung vorbeizubringen.
Die 8. Szene, die sich im Behandlungszimmer abspielt, fungiert als eine der Schlüsselszenen in Büchners Werk. In dieser Szene, in der Woyzeck beim Doktor zur regelmäßigen Untersuchung auftritt, wird die erhebliche Distanz zwischen dem gebildeten und wohlhabenden Doktor und dem ungebildeten und armen Woyzeck geschildert. Woyzeck ist in dieser Szene abermals der Demütigung des Doktors ausgesetzt, gegen die er sich nicht wehren kann.
Zwischen ihnen entwickelt sich ein Gespräch, das der Doktor einleitet. Dieser wirft Woyzeck vor, dass er seinen Urin verschwendet habe, weil er vom Fenster aus gesehen hat, wie der Soldat auf die Straße uriniert hat. Der Arzt vergleicht ihn mit einem Hund und fügt anschließend eine moralische Bewertung hinzu: „Woyzeck das ist schlecht, die Welt wird schlecht, sehr schlecht.“ (S. 21), wobei er anhand einer Hyperbel und einer Correctio den einfachen Soldat für die Schlechtigkeit der Welt verantwortlich macht.
Woyzeck versucht, sich zu rechtfertigen, indem er seine Handlung als natürliches Bedürfnis beschreibt: „Aber, Herr Doktor, wenn einem die Natur kommt“ (S. 21). Der zynische Doktor lehnt dieses Argument ab: „Hab´ ich nicht nachgewiesen, daß der musculus constrictor vesicae dem Willen unterworfen ist?“ (S. 21). Der überhebliche Doktor benutzt sarkastisch wissenschaftliche Argumente und die fachliche Sprache als Machtmittel, um Woyzeck zu unterdrücken. Denn lateini...