Weltbilder

Woyzecks Religiosität und Resignation

Der einfache Soldat Woyzeck ist sich völlig über seine soziale Position im Klaren. Er weiß, dass er sich beispielsweise gegenüber dem Hauptmann keine Widerworte erlauben darf, und erträgt daher stoisch seine Beleidigungen und selbstmitleidigen Anmerkungen (S. 17). Als der Hauptmann sich aber darüber lustig macht, dass Woyzeck ein uneheliches Kind hat und damit in seinen Augen kein moralischer Mensch ist, wehrt er sich und bringt ihn damit aus dem Konzept: „Herr Hauptmann, der liebe Gott wird den Armen Wurm nicht drum ansehen, ob das Amen drüber gesagt ist, eh´ er gemacht wurde.“ (S. 18). Er zeigt damit eine reflektierte und bodenständige Religiosität, die ihm dabei hilft, seinen Alltag zu meistern. Als er vor dem Mord an Marie Andres seinen Besitz schenkt, sind darunter auch ein Heiligenbild und die Bibel seiner Mutter (S. 33).

Als Angehöriger der Unterschicht, der „kein Geld hat“ (S. 18), glaubt er, dass er nicht nur materiell benachteiligt ist, sondern zudem weder Anspruch auf moralisches Handeln noch auf Tugend hat: „...aber wenn ich ein Herr wär und hätt ein Hut und eine Uhr und eine anglaise und könnt vornehm reden, ich wollt schon tugendhaft sein.   [...] Aber ich bin ein armer Kerl.“ (S. 18-19). Daher ist Tugend seiner Ansicht nach von ökonomischen Faktoren abhängig: Ohne Geld ist es schwer, tugendhaft zu sein. Dass Woyzeck „keine Moral“ hat, steht in Bezug zur tiefen Armut, in der die einfachen hessischen Soldaten damals lebten. Daher konnten sie aufgrund der Reglementierung auch nicht heiraten.

Der einfache Soldat resigniert und stellt sich vor, arme Menschen müssten selbst im Jenseits noch schuften: „...ich glaub´ wenn wir in Himmel kämen, so müßten wir donnern helfen“ (S. 18). Der Konjunktiv verdeutlicht zudem, dass er trotz seiner Religiosität nicht daran glaubt, nach seinem Tod in den Himmel zu kommen (siehe auch dazu Analyse „Szene 5“). 

Woyzeck ist für Verschwörungstheorien anfällig und glaubt an den Bund der Freimaurer, der im Verborgenen lebt (S. 9). Durch seine geistige Verwirrung wird dieser Glaube noch verstärkt und so vermutet er unter dem Feld vor der Stadt einen Hohlraum, in dem sie sich verstecken. Damit verängstigt er Andres, der ebenfalls daran glaubt.

Maries bürgerliche Sehnsüchte

Marie weiß um ihre Zugehörigkeit zur unteren sozialen Schicht und sie sehnt sich nach einem besseren Leben. Sie sieht zu den „großen Madamen [...] und ihren schönen Herrn“ (S. 15) auf. Sie erweist sich als eine Person, die ihr eigenes Wohlbefinden in den Vordergrund stellt. Damit verhält sie sich in Bezug auf Woyzeck völlig gegensätzlich, der auch gesundheitliche Beeinträchtigungen in Kauf nimmt, um für seine Familie zu sorgen. Sie nimmt dessen Geld, ist aber nicht bereit, ihre Bedürfnisse einzuschränken und den Zusammenhalt der Familie mit ihrem Verhalten zu fördern. Daher lässt sie sich auch sehr schnell auf eine Affäre mit dem Tambourmajor ein (S. 20).

Obwohl sie ein schlechtes Gewissen hat (S. 16, 32-33) und ihr Verhalten mit Stellen aus der Bibel legitimieren will, weiß sie, dass sie Woyzeck nicht treu sein kann: „Geh hin und sündige hinfort nicht mehr. […] Ich kann nicht.“ (S. 32). In diesem Moment stößt sie auch ihr Kind fort, das sich an sie drängt. Sie sieht nur sich und ihre ...

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