Schuldfrage
Der historische Woyzeck
Zeitgenössische Bewertung
Im Gegensatz zu der psychologischen Ausgestaltung in Büchners Dramenfragment fiel das echte Gutachten zum historischen Woyzeck durch den Mediziner Johann Christian August Clarus (1774-1854) weniger positiv aus. Dieser war Professor für Anatomie und Chirurgie an der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig und Leiter der Gesundheitsbehörde in Leipzig. In dieser Eigenschaft wurde er 1821 und dann wieder 1823 damit beauftragt, die Zurechnungsfähigkeit des wegen Mordes angeklagten Johann Christian Woyzeck zu begutachten.
Der Mediziner attestiert ihm im Jahr 1821 in einem ersten Gutachten, das auf fünf Gesprächen mit Woyzeck basiert, Zurechnungsfähigkeit. Ordentliche Zeugenbefragungen wurden zunächst von Clarus nicht für notwendig erachtet und er erklärt den einfachen Soldaten für geistig gesund.
Kurz vor der Hinrichtung betätigt ein Augenzeuge die geistige Verwirrung Woyzecks, die er bemerkt hat. Daraufhin erstellt Clarus ein zweites, umfangreicheres Gutachten, in dem er zum gleichen Schluss gelangt. In seinen Augen ist er moralisch verkommen und hat „im finstern Aufruhr roher Leidenschaften, ein Menschenleben zerstört“. Darüber hinaus erhofft er sich, dass die öffentliche Hinrichtung Woyzecks anderen potenziellen Tätern als abschreckendes Beispiel dient.
Schon in Clarus‘ Argumentation wird deutlich, dass er grundsätzlich den Mord als eine Tat im Affekt einstuft und dass er hofft, dass an dem Fall Woyzeck ein Exempel statuiert wird. Beide Aspekte u...