Rollenbilder und Frauenbild Fouqués

Die zeitgenössische Geschlechterordnung

Zu Fouqués Zeiten am Anfang des 19. Jahrhunderts müssen die Frauen der unteren sozialen Schichten, wie zum Beispiel Bauerinnen, Dienstmädchen, Köchinnen oder Ammen, um zu überleben, hart arbeiten oder sich auch manchmal sogar prostituieren. Die bürgerlichen Frauen übernehmen hingegen als Hauptbeschäftigung nach ihrer Heirat die Rolle der Ehefrau, Mutter und Erzieherin der Kinder. Ihr Verhalten ist durch die Ideale der Frömmigkeit, Tugend, Sittsamkeit und Fleiß geprägt. Ihr Wirkungskreis beschränkt sich weitgehend auf den häuslichen Bereich, während die Männer sich der Öffentlichkeit widmen. 

Die Frauen sind in dieser Zeit weder mündig noch autonom, sondern der Vormundschaft durch den Ehegatten unterstellt und generell von den männerdominierten Bereichen, wie Politik, Wissenschaft und Wirtschaft, ausgeschlossen. Sie haben kein Wahlrecht. Doch gibt es um 1800 einige Frauen in Deutschland, die in der literarischen Welt als Autorinnen, Redakteurinnen, Zeitungsverlegerinnen oder Dramatikerinnen auftreten. Zum Beispiel arbeitet Fouqués zweite Ehefrau Caroline von Briest (1773-1831) als Schriftstellerin, leitet den Gutsbetrieb Nennhausen und setzt Reformen zur Bauernbefreiung um. Auch in dieser Verbindung ist die erfolgreiche Schriftstellerin Sophie de la Roche (1730-1807) zu nennen.

Bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts beginnen Frauen, sich für eigene Rechte einzusetzen. Im Zuge der Bürgerbewegungen werden die ersten Frauenvereine gegründet, die sich zunächst vor allem mit der Hilfe für Arme und Kranke beschäftigen, aber sich später in politische Frauenvereine verwandeln.

Die folgsame Frau

In zahlreichen Philosophien des 18. und 19. Jahrhunderts findet sich das Ideal der bescheidenen, manierlichen und folgsamen Frau wieder. Sittsamkeit und Anständigkeit, so Kant und Rousseau, seien dem weiblichen Geschlecht in die Wiege gelegt. Kant spricht den Frauen „gütige und wohlwollende Empfindungen, ein feines Gefühl für Anständigkeit und eine gefällige Seele“ zu.

Während jugendliche, unreife Männer durch einen tölpischen Ungehorsam gekennzeichnet werden, hätten junge Mädchen bereits natürlicherweise eine stärkere Kontrolle über sich. Charme und Zurückhaltung sowie die kompromisslose Anpassung an gesellschaftliche Normen galten zu Fouqués Zeiten als weibliche Tugenden.

Fouqués Frauenfiguren orientieren sich an diesem Ideal, wobei Undine sich vom unangepassten und jungenhaften Mädchen zur braven und anständigen Hausfrau entwickelt. Damit konterkariert sie das Bild der sittsamen Veranlagung. Auch von Fouqués Undine wird die Gefälligkeit der weiblichen Seele verlangt. Diese solle sich, ganz dem damaligen Frauenbild entsprechend, nach dem Manne ausrichten: „[…] aber denkt drauf, eure Seele beizeiten so zu stimmen, dass sie immer die Harmonie zu der Seele Eures angetrauten Bräutigams anklingen lasse.“ (S. 41).

Überdies sei auch die Fähigkeit, zu lieben und zu leiden, eine weibliche Tugend. Beides, so der Philosoph und Erzieher Johann Gottlieb Fichte, sei eng miteinander verknüpft. Die Liebe der Frau gegenüber dem Gatten zeichne sich durch bedingungslose Hingabe und Aufopferung aus. Dem vornehmlich triebgesteuerten Mann sei die tiefe emotionale Zuneigung nicht angeboren, doch könne sie durch die Gefühle einer Frau hervorgerufen werden. Fichtes Auffassung nach verkörpert die Frau den leidenden Geschlechtstrieb, wobei der Mann den tätigen Geschlechtstrieb repräsentiert.

Die weitverbreitete Auffassung der liebenden leidenden Frau wird von Fouqué anschaulich in der Entwicklung seiner Protagonistin aufgegriffen. In ihrer Ehe mit Huldbrand zeigt Undine bedingungslose Liebe, Uneigennützigkeit und Selbstaufopferung (vgl. Abschnitt „Undines Beseelung und Liebesleiden“).

Die unterschiedlichen sozialen Rollenbilder

Nur wenige Persönlichkeiten stellen zu Beginn des 19. Jahrhunderts die zeitgenössische Geschlechterordnung infrage. Namhafte Philosophen, wie Kant, Rousseau, Fichte, Humboldt und Hippel, üben einen starken Einfluss auf das Geschlechterverständnis des 18. und 19. Jahrhunderts aus. In ihren Theorien arbeiten sie die Unterschiede zwischen Männern und Frauen heraus und interpretieren diese als naturgegeben.

Aus den einzelnen Thesen werden soziale Rollenbilder sowie pauschale Gegensatzpaare abgeleitet und nachfolgend werden die Männer und Frauen den Grundprinzipien des Lebens zugeordnet: 

  • Mann: Verstand, Geist, Kultur
  • Frau: Gefühl, Körper, Natur

Bei den Vergleichen und Gegenüberstellungen nimmt der Mann damals stets die überlegene Position ein. Fichte assoziiert das Ursprüngliche und Naive der Natur mit Weiblichkeit und begreift die Vernunft als männliche Domäne. Der romantische Philosoph und Schriftsteller Novalis bezeich...

Der Text oben ist nur ein Auszug. Nur Abonnenten haben Zugang zu dem ganzen Textinhalt.

Erhalte Zugang zum vollständigen E-Book.

Als Abonnent von Lektürehilfe.de erhalten Sie Zugang zu allen E-Books.

Erhalte Zugang für nur 5,99 Euro pro Monat

Schon registriert als Abonnent? Bitte einloggen