Quellen
Paracelsus
Die Elementargeister
In der Sekundärliteratur wird davon ausgegangen, dass Fouqué sich mehrerer unterschiedlicher Quellen zur Entstehung seiner »Undine« bediente. Der Autor selbst benennt jedoch nur ein einziges Werk, das ihn dazu inspiriert habe. In einer Ausgabe aus dem Jahr 1812 der von ihm selbst herausgegebenen Zeitschrift »Die Musen« gibt Fouqué an, diesem Text alles über das Verhältnis zwischen Undine und den Menschen entnommen zu haben.
Bei dieser ‚Urquelle‘ der »Undine« handelt es sich um die naturphilosophische Schrift »Liber de nymphis, sylphis, pygmaeis et salamandris, et de caeteris spiritibus« (= Buch über die Nymphen, Sylphen, Pygmäen, Salamander und die übrigen Geister). Verfasser des 1566 postum veröffentlichten Werkes ist der Arzt und Naturphilosoph Philippus Aureodris Paracelsus Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus. Vermutlich ist Fouqué über die mittelalterlichen Schriften Jakob Böhmes, die sich unter den Romantikern großer Beliebtheit erfreuten, auf diese Quelle gestoßen.
Paracelsus geht in seinem Werk von der Existenz übernatürlicher Wesen aus, die ebenso Teile von Gottes Schöpfung seien wie der Mensch und einen eigenen Platz in der christlichen Weltordnung besäßen. Mit seinen Thesen wendet sich der Autor gegen den Dämonenglauben des Mittelalters, der übernatürliche Phänomene ausgrenzte und als heidnisch oder böse charakterisierte.
Es sind die sogenannten Elementargeister, die Paracelsus in seinem Werk kategorisiert und beschreibt. Sie sind als Teil der Natur zu begreifen, welche ihnen als Lebensraum dient. Von der unmittelbaren Umgebung des Menschen halten sie sich hingegen in der Regel fern. Unter bestimmten Bedingungen ist es ihnen jedoch möglich, in die Menschenwelt zu gelangen.
Paracelsus unterscheidet vier verschiedene Arten von Elementargeistern: Undenae (Wassergeister), Gnomi (Erdgeister), Sylvestres (Luftgeister) und Vulcani oder Salamandri (Feuergeister). Sie gehören weder ganz zum Menschen- noch ganz zum Geisterreich, können sich aber wie Geister durch Wände und Türen hindurch bewegen. Phänotypisch seien die Elementarwesen ein Abbild des Menschen und in diesem Sinne von den reinen Geistern zu unterscheiden. Im Gegensatz zu den Menschen besäßen die Feuer-, Wasser-, Luft- und Erdgeister jedoch keine Seele.
Die Undinen
Die Auseinandersetzung mit Wasserfrauen, häufig Nymphen genannt, geht bis in die griechische und römische Mythologie zurück (vgl. Abschnitt „Mythos“). Auch Paracelsus greift diese sagenumwobene Gestalt wieder auf. Wasserfrauen bezeichnet er jedoch nicht nur als Nymphen, sondern führt mit dem Begriff Undine eine neuartige Bezeichnung ein. Der Name wird als umfassender Gattungsbegriff für sämtliche Wasserfrauen verwendet und leitet sich von dem lateinischen Wort unda für Welle ab.
Paracelsus verleiht der bis dato eher eindimensional beschriebenen Wasserfrau erstmals Gestalt und Charakter. So sei ihr äußeres Erscheinungsbild vom Menschen kaum zu unterscheiden. Eine wesentliche Diskrepanz läge jedoch in ihrer Seelenlosigkeit begründet. Das Ziel der Undinen bestünde demnach darin, eine unsterbliche Seele zu erlangen. Dies Ziel könne aber allein durch die eheliche Verbindung mit einem Menschen erreicht werden.
Die Beseelung der Nymphe ist jedoch an gewisse Regeln geknüpft. Da die Wasserfrau auch nach der Hochzeit noch eng an die Wasserwelt gebunden ist, muss ihr Gatte sicherstellen, dass sie dem Element fernbleibt. Schon gar nicht darf er sie in der Nähe des Wassers beschimpfen. Anderenfalls kehrt die Undine für immer in ihr Naturreich zurück.
Das Verschwinden der Wasserfrau soll den Ehemann keineswegs glauben lassen, sie sei nicht mehr am Leben. So ist auch die Ehe zwischen Mensch und Nymphe nach wie vor gültig. Sollte der Mann sich dennoch neu verheiraten, wird seine Untreue mit dem Tode bestraft. Fouqué übernimmt diese Regeln für die Geschichte seiner »Undine«.
Wasser und Religion
Paracelsus‘ Werk stellt die Nymphen und ihr Element in exklusiver Weise heraus. So grenze sich das Wasser von den anderen Elementen als ein „besonderer corpus“ ab. Entsprechend den Schöpfungswassern in der Genesis (dem ersten Buch Mose), über denen der Geist Gottes schwebte, sieht Paracelsus in dem Element Wasser den Ursprung allen Lebens.
Ohnedies ist die Verbindung des Menschen zur Natur eine religiöse. Paracelsus fordert den Menschen dazu auf, in der Natur die Zeichen für Gottes Wirken zu erkennen. Zur Schöpfung des allmächtigen Herrn gehören nicht zuletzt auch die Elementargeister. Fouqué greift diesen Gedanken in einer Selbstbeschreibung Undines auf: „Ich weiß doch auch von Gott, und versteh ihn auch zu loben; jedweder auf seine Weise freilich, und dazu hat er uns erschaffen.“ (S. 35). Nicht zuletzt behauptet Undine, „zu Gottes Preis und Freude geschaffen“ worden zu sein (vgl. S. 17).
Ebenso wie die übernatürlichen Wesen nach einer menschlichen Seele trachten, solle der Mensch sein Leben auf das Reich Gottes hin ausrichten, so Paracelsus. Die Gottesnähe der Elementargeister, ihr Streben nach Unendlichkeit, diene dem Menschen als Vorbild.
Staufenberg und Melusine
Die Staufenbergsage
Paracelsus bezieht sich in seinem »Liber de nymphis, sylphis, pygmaeis et salamandris, et de caeteris spiritibus« auf die Melusinen- und die Staufenbergsage. Sie sollen als Beispiele zur Veranschaulichung seiner theoretischen Ausführungen über die Elementargeister dienen. Paracelsus bezeichnete diese Sagen als historisch wahrhaftig. Beide Texte können nicht zuletzt als Quellen für Fouqués »Undine« begriffen werden, da sie dem Autor vermutlich auch unabhängig von Paracelsus bekannt waren.
Die Staufenbergsage, auch unter dem Titel »Peter von Staufenberg« bekannt, stammt ursprünglich aus dem 14. Jahrhundert. Verfasser der um 1310 entstandenen Erstfassung ist Egenolf von Staufenberg. Seit der Entstehung ist der Stoff immer wieder in verschiedenen Versionen bearbeitet worden.
Erzählt wird die Familiengeschichte der von Stauffenbergs, ansässig in der Ortenau in Baden-Württemberg. Der Ritter Diemringer von Stauffenberg geht eine Liebesbeziehung zu einer überirdischen Frau ein. Diese verlangt vom Ritter die ewige Treue. Jede Verbindung zu einer anderen Frau müsse er mit dem Leben bezahlen. Der Ritter willigt ein, bricht jedoch sein Versprechen. Drei Tage nach der Hochzeit mit einer anderen stirbt er.
In der Urfassung der Staufenbergsage ist die Gattung des magischen Wesens nicht näher beschrieben, erst in der ersten Druckversion wird sie als „Merfeye“ (Meerfee) bezeichnet. Explizite Hinweise auf eine Verbindung der Figur zum Element Wasser gibt es in der ursprünglichen Version jedoch nicht.
Sowohl Paracelsus als auch Fouqué übernehmen aus der Staufenbergsage das Motiv der sogenannten Mahrtenehe. Der mittelalterliche Begriff Mahrte beschreibt ein übernatürliches Geschöpf mit menschlicher oder menschenähnlicher Gestalt. Entsprechend steht die Mahrtenehe für die Liebe zwischen einer sterblichen männlichen Person und einem weiblichen und verführerischen Fabelwesen. Die Beziehung ist an ein Tabu gebunden, das nicht gebrochen werden darf.
Zudem verursacht das überirdische Wesen beim Mann Alpträume. Die Mahrtenehe lässt sich daher auch vom Wort Nachtmahr ableiten. Im Gegensatz zum Märchen, das gattungstypisch mit einem Happy End endet, ist die Mahrtenehe nicht zuletzt an einen unglücklichen Ausgang geknüpft.
Welche Einzelheiten Fouqué der Staufenberg-Quelle oder deren Weiterentwicklung durch Paracelsus entnahm, lässt sich nur schwer klären. Bei Fouqué verliebt sich der Ritter Huldbrand (hier taucht das ursprüngliche Rittermotiv der Staufenbergsage auf) in die Wasserfrau Undine (die konkrete Nixengestalt der Figur entspricht Paracelsus‘ Version). Die Verbindung ist ebenfalls an eine Bedingung (Tabu) geknüpft. Huldbrands Heirat mit Bertalda kostet ihn das Leben: Undine muss nach den Bestimmungen der Wasserwelt ihren untreuen Ehegatten töten. Nicht zuletzt beschreibt Fouqué die mit der Mahrtenehe einhergehenden Alpträume des untreuen Mannes (vgl. S. 43, 87, 90).
Die Melusinensage
Auch die mittelalterliche Melusinensage wird von Paracelsus in seinem »Liber de nymphis…« zitiert und dort als wahrhaftiges Geschehen präsentiert. Der mythische Stoff ist durch eine lange Tradition gekennzeichnet, erste mündliche Überlieferungen gab es bereits im 12. Jahrhundert. 1390 verfasste der französische Schriftsteller Jean d’Arras eine erste Niederschrift der Geschichte. Die erste deutsche Version stammt von Thüring von Ringoltingen aus dem Jahr 1456.
Die bereits erwähnte Mahrtenehe spielt auch in der Melusinensage eine entscheidende Rolle. Die übernatürliche Frau, die mitunter als Wasserfee beschrieben wird, erscheint, anders als bei Fouqué und Paracelsus, als Dämonin. Sie ist mit einem Fluch des Teufels belegt: Jeden Samstag verwandelt sich Melusine in ein Mischwesen aus Mensch und Schlange. Um von dem bösen Bann erlöst zu werden, muss sie einen Mann finden, der sie nicht beim samstäglichen Baden beobachtet. Das Sichtverbot soll gewährleisten, dass Melusines übernatürliche Herkunft geheim bleibt. Doch der neugierige Ehemann bricht mit dem Tabu und wird schließlich von Melusine verlassen.
Fouqué übernimmt in seiner »Undine« das Merkmal der Erlösung, legt ihr jedoch eine andere Motivation zugrunde. Undine geht es nicht um den Bann eines Fluches, sondern um den Erhalt einer menschlichen Seele. Damit deutet Fouqué das vorchristliche Motiv der Melusinensage in ein christliches um.
Paracelsus‘ und Fouqués Abwandlungen
Paracelsus und Fouqué führen die Tabubrüche aus Melusinen- und Staufenbergsage zusammen. Von Staufenberg werden das Verbot der Untreue ebenso wie die Konsequenz des Todes übernommen. Der Melusinenstoff liefert hingegen das Verlassenwerden als Folge eines Tabubruches.
Auch Undine verlässt Huldbrand und kehrt in ihre alte Umgebung zurück. Grund dafür ist jedoch nicht d...