Merkmale der Romantik im Werk
Sehnsucht nach der ‚guten alten Zeit‘
»Undine« gilt nicht nur als eines der bedeutendsten Werke der deutschen Romantik, sondern auch als besonders charakteristisch für diese Epoche. Fouqué traf den Nerv seiner Zeit und damit den Geschmack des Publikums. Gerade dies machte den Autor seinerzeit so populär (vgl. Abschnitt „Rezeption, Kritik“).
Die Romantiker fühlten sich angesichts der gesellschaftlichen und politischen Umbrüche um sie herum überfordert. Sie sehnten sich u.a. in die Zeit des Mittelalters zurück, als die Welt laut ihren Vorstellungen noch in Ordnung war und der Mensch in vollkommener Harmonie mit der Natur lebte. Diesen Zustand bezeichneten sie als das Goldene Zeitalter, von dem man sich in der vernunftgeleiteten Phase der Aufklärung jedoch entfernt habe.
Die Romantiker betrachteten es als ihre Aufgabe, Verstand und Gefühl sowie Mensch und Natur in Einklang miteinander zu bringen und so in das Goldene Zeitalter zurückzukehren. Die Sehnsucht nach ‚der guten alten Zeit‘ führte nicht zuletzt zur Wiederentdeckung von Märchen, Mythen, Sagen und Legenden. Tragische Liebesgeschichten, noch dazu zwischen Ritter und Nymphe, waren ein beliebtes Motiv der Romantik.
Mit einem Blick auf Fouqués Quellen offenbart sich die mythologische und märchenhafte Basis der »Undine«. Das Werk wäre ohne den Stoff der mittelalterlichen Staufenberg- und Melusinensage, geschweige denn ohne das mythologische Vorbild der Wasserfrau undenkbar. Nicht zuletzt bedient der Autor die Nostalgiesucht der Romantiker mit seinen mystischen und mittelalterlichen Schauplätzen. Diese reichen von der Ritterburg Ringstetten, über den Markt- und Turnierplatz der Reichsstadt, bis hin zum düsteren Märchenwald und der malerischen Landzunge.
Elementargeister und magische Ereignisse
Die Vorliebe der Romantiker für das Unerklärliche und Sinnliche
Um der aufklärerischen Übermacht des Verstandes etwas entgegenzusetzen, widmeten sich die Romantiker dem Fantastischen und Unerklärlichen in der Welt. Dabei tauchten sie in die Tiefen der menschlichen Vorstellungskraft und des Unterbewussten ein und entwickelten eine besondere Vorliebe für die dunklen und schaurigen Seiten, besonders in der Phase der Schwarzen Romantik (siehe auch dazu Literaturepochen „Romantik“).
Fantasie diente als gleichberechtigter Teil der Wirklichkeit und die Kunst galt als dasjenige Medium, das dazu in der Lage ist, diese Form der Realität abzubilden. Insbesondere die Poesie wurde als wesentliches Mittel begriffen, um einen Zugang zu all den magischen und mystischen Phänomenen des Lebens zu gewinnen.
Geister, Gnome, Hexen, schwarze Magie und Feenzauber - all dies sind typische Bestandteile der romantischen Literatur. Dazu erfreuten sich die Elementargeister, wie Paracelsus sie in seinem »Liber de nymphis, sylphis, pygmaeis et salamandris, et de caeteris spiritibus« (1566) beschreibt, besonderer Beliebtheit. Sie verbanden das Magisch-Fantastische mit der epochentypischen Naturverbundenheit (siehe dazu Quellen „Paracelsus“).
Vorzeitliche Mythen um menschenähnliche und doch geisterhafte Naturwesen wurden von den Romantikern wiederentdeckt und weiterentwickelt. Ergänzt man die romantische Vorliebe für das Sinnliche und Exotische, so erklärt sich, weshalb gerade die Wasserfrau zu den gefragtesten Motiven dieser Zeit gehörte, obschon sich die Figur durch sämtliche Epochen hindurch zieht (siehe mehr dazu Abschnitt „Mythos – Der Mythos der Wasserfrau“).
Das Magische in Undine
Die Magie in Fouqués Undine schleicht sich zunächst durch wundersame Ereignisse ein. Der Fischer bemerkt einen weißen Mann, der sich jedoch als das immer schon dagewesene Bächlein entpuppt. Der Leser wird im Unklaren darüber gelassen, ob die Geistererscheinung Realität oder bloße Einbildung ist. Auch das heraufziehende Unwetter wirkt unheimlicher als eine herkömmliche Naturerscheinung. Wie sich herausstellt, ist das Wetter ebenfalls magisch beeinflusst.
Mit Undine führt Fouqué schließlich eine ‚merkwürdige‘ Figur ein, die aus einer anderen Sphäre zu stammen scheint. Durch sie wird der Leser in die Welt der Wassergeister und ihre übernatürlichen Kräfte entführt. Mit Undines Onkel, dem Nixenmann Kühleborn, folgt ein weiterer Vertreter dieser Gattung. Wie bei Paracelsus vorgezeichnet, treten Fouqués Wassergeister in Menschengestalt auf, sind jedoch auch dazu in der Lage, unterschiedliche Formen des Wassers anzunehmen. Neben ihren Verwandlungskünsten können die Nixen blitzschnell den Standort wechseln oder an verschiedenen Orten gleichzeitig erscheinen. Nicht zuletzt greifen sie mit ihren magischen Kräften in das Schicksal der Menschen ein.
In dem unheimlichen märchenhaften Wald treten weitere Elementarwesen in Erscheinung, die jedoch nur eine Nebenrolle spielen. Da ist von Kobolden die Rede, die unter der Erde Münzen horten (vgl. S. 27). Die Wesen entsprechen Paracelsus‘ Beschreibung der Erdgeister, welche in unterirdischen Gewölben hausen und eine Zwergen ähnliche Erscheinung haben. Ihre besondere Fähigkeit besteht darin, Geld herbeizaubern zu können.
Konfrontation zweier Welten
Das Aufeinandertreffen von Menschen und Elementargeistern (insbesondere Wassergeistern) ist ein zentrales Thema der deutschen Romantik. Fouqué beschreibt hier, wie viele seiner Kollegen, vor allem die Ängste des rationalistischen Bürgertums, das sich mit dem Unerklärlichen und Unkontrollierbaren konfrontiert sieht.
Huldbrand, der sich in Undine verliebt hat, fühlt sich einerseits zu der Wasserfrau hingezogen und andererseits von ihr entfremdet. Die magische Herkunft der Nixe ist ihm unheimlich, auch fürchtet er deren unberechenbaren Onkel Kühleborn mit seinen furchterregenden Streichen. Zunehmend begegnet Huldbrand dem Fremden und Unbegreiflichen mit Wut und Unverständnis. Er beschimpft Undine schließlich als „Gauklerin“, welche „die Menschen zufrieden“ lassen solle (S. 85). Angesichts von Undines vermeintlichem ‚Teufelswerk‘ scheint die bürgerlich-angepasste Bertalda die verlockendere Alternative für den Ritter zu sein. Immer wieder schwankt seine Zuneigung zwischen den Frauen hin und her.
Die Gegenüberstellung der magisch-fantastischen und der rational-alltäglichen Welt ist ein wiederkehrendes Thema der romantischen Literatur. Bei Fouqué findet sich dieses Motiv u.a. im beschriebenen Dreiecksverhältnis wieder. Die gegensätzlichen Sphären werden hier durch zwei unterschiedliche Frauentypen repräsentiert. Der unentschlossene Huldbrand wiederum verkörpert den Zwiespalt des Romantikers, der einerseits durch die Vernunft der Aufklärung geprägt ist und andererseits nach Emotionalität und Irrationalität strebt.
Die Konfrontation zweier Welten verdeutlicht Fouqué darüber hinaus symbolisch anhand unterschiedlicher Orte. So steht die abgelegene Landzunge der Fischer für die ursprüngliche Natur und die Heimat der Elementargeister. Die nahegelegene Reichsstadt hingegen und auch Huldbrands Ritterburg sind Kennzeichen der bürgerlichen Zivilisation und des Rationalismus. Dazwischen steht der Wald als gefährliches und herausforderndes Grenzgebiet, das den Menschen und seine Ängste vor dem Unbegreiflichen auf...