Anselmus' Entwicklung vom Schreiber zum Schriftsteller
Die Initiation
Der berufliche Ein- und Aufstieg
Anselmus‘ Entwicklung vom Schreiber zum Schriftsteller kann als Prozess des Erwachsenwerdens verstanden werden. Entsprechend führt Hoffmann seinen Protagonisten als unbeholfenen und tollpatschigen Jüngling in die Geschichte ein, der noch nicht über die hinreichende Reife verfügt, um in der Welt bestehen zu können (vgl. Charakterisierung Anselmus).
Als Student befindet sich Anselmus in der Ausbildung und steht kurz vor dem Eintritt ins Berufsleben. Obschon er bereits über gewisse Kenntnisse und Erfahrungen verfügt, ist er noch nicht in den Arbeitsmarkt integriert, hat offensichtlich noch keinerlei Nebenverdienst. Erst die Schützenhilfe seiner Bekannten Heerbrand und Paulmann, die im Gegensatz zu ihm einen anerkannten Beruf ausüben, erhebt ihn in den Stand eines Angestell…
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Der talentierte Kopist
Der tollpatschige und verträumte Anselmus besitzt eine künstlerische Veranlagung, die sich erstmals offenbart, als er die Bürgerstochter Veronika auf dem Klavier begleitet (vgl. S. 17). Neben der Musikalität ist der schüchterne Student auch zeichnerisch talentiert, da er von seinem Freund Heerbrand als Kopierer alter Manuskripte empfohlen wird: „[…] und es bedarf dazu eines Mannes, der sich darauf versteht, mit der Feder zu zeichnen, und mit der höchsten Genauigkeit und Treue alle Zeichen auf Pergament, und zwar mit Tusche, übertragen zu können.“ (S. …
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Das Kopieren als Magischer Akt
Die reine Abschrift der Dokumente wirkt auf den ersten Blick leer, inhaltlos und ohne jeglichen intellektuellen Anspruch. Dennoch verleiht Hoffmann dem kaligrafischen Akt etwas Magisches und Geheimnisvolles.
Das Kopieren geht dem Studenten ungewöhnlich leicht von der Hand. Ob dies seiner inneren Motivation, einem manischen Schub oder magischen Kräften geschuldet is…
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Die zwei Stufen: Das Kopieren und das Verfassen
Nach einer möglichen Deutung ist das Kopieren für Anselmus die notwendige Vorstufe zur schriftstellerischen Arbeit. Der romantischen Transzendentalphilosophie zufolge (u.a. vertreten durch den Naturphilosophen Schelling) sind der physische Akt des Buchstabenziehens und die Materialität der Schrift die Voraussetzungen für die Geistigkeit des Schreibens.
Zwar versteht Hoffmann den Kopierer als ein niederes Selbst und den Schriftsteller als ein höheres Selbst. Letztes kann jedoch ohne Ersteres nicht existieren. Anselmus kann demnach ni…
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Poesie als Mittel, die Geheimnisse der Natur zu verstehen und Atlantis zu erreichen
Nicht zuletzt lässt sich Anselmus‘ Verwandlung vom Schreiber zum Poeten vor dem Hintergrund der romantischen Naturphilosophie interpretieren, die bereits mehrfach erwähnt wurde (vgl. Kapitel „Epoche“, Abschnitt „Quellen“ sowie die Abschnitte zu den Atlantis-Erzählungen ).
Die Entfremdung des Menschen von der Natur kann nach Meinung der Naturphilosophen mithilfe seelischer Ausnahmezustände, insbesondere aber mithilfe der Poesie überwunden werden. Ziel und Endpunkt ist die Rückkehr ins goldene Zeitalter, welches Hoffmann mit dem Zauberreich Atlantis symbolisiert.
Damit auch Anselmus den Schmerz der Zerrissenheit (zwischen Mensch und Natur, Veronika und Serpentina, alltäglicher und fantastischer Welt) überwinden kann, muss er sich zum Schriftsteller entwickeln. Die Poesie ermöglicht ihm den Zugang zu einem besseren Dasein oder zumindest den Glauben an eine Utopie. Das schr…