Die Großstadt Berlin

Die Stadt der Liebe, der Enttäuschung und des Scheiterns

Die Einwohnerzahl Berlin explodiert am Beginn des 20. Jahrhunderts und verdoppelt sich von 1906 bis 1930 von circa zwei Millionen auf über vier Millionen. Die Stadt avanciert hiermit zu einer europäischen Metropole, die zahlreiche Künstler und Autoren anzieht. Die dynamische Großstadt wirkt als ein interessantes literarisches Thema und verkörpert den Rahmen für mehrere Romane. Der berühmteste von diesen ist vermutlich der moderne Großstadt- und Erfolgsroman von Alfred Döblin Berlin Alexanderplatz (1929), der ein Jahr später Impulse und Inspiration für Erich Kästner bei dem Verfassen seines Romans Fabian liefert.

Ebenso wie Döblin schildert Kästner sehr genau die Berlins Schattenseiten, aber aus einem anderen Winkel heraus. Er lässt den zweiunddreißigjährigen promovierten Germanisten Fabian mit seinem wohlhabenden Freund Labude durch die Stadt streifen und viele verschiedene Personen aus unterschiedlichen Milieus treffen. Dabei werden die zeitgenössische schlechte Wirtschaftslage, die politischen Extreme, die hohe Arbeitslosigkeit Anfang der 1930er Jahre und die Not eines Großteils der Bevölkerung detailliert beschrieben.

Die schiefen Existenzen, die in der Stadt zu überleben versuchen, sowie die allerlei wilden Ausschweifungen der Großstadt, die viele als Ablenkungen nutzen, wie die fragwürdigen Etablissements, Ateliers, Kabarets und Tanzlokale, die Fabian besucht, werden in der Erzählung ausführlich veranschaulicht. Berlin versinnbildlicht für seine Hauptfigur „Sodom und Gomorra“, Chaos und moralischen Verfall.

Außerdem ist Berlin die Stadt, in der sich Fabian scheinbar orientierungs- und ziellos bewegt. Er beobachtet und registriert zwar, bleibt aber meistens passiv. Er möchte zwar, als er Cornelia trifft, sich ändern, jedoch verbleibt ihm vermutlich nicht genug Zeit dazu, bevor sie ihn verlässt. Für ihn ist Berlin die Stadt der Liebe, der Enttäuschung und des Scheiterns. Diese Aspekte werden in den nachfolgenden Abschnitten näher beleuchtet.

Arbeitslosigkeit, Not und Armut

Berlin wird 1930 wie die anderen europäischen Metropolen von der Weltwirtschaftskrise hart getroffen (siehe dazu Epoche „Historischer Hintergrund“). Nachfolgend wird eine Reihe von Beispielen aus Erich Kästners Roman Fabian angegeben, welche die kümmerlichen sozialen Zustände und die Verzweiflung der betroffenen Bürger nachweisen. Der wachthabende Arzt im Krankenhaus bezeichnet ironisch und metaphorisch die Lage als „Hungerthyphus“ (S. 74).

Die Schwierigkeit, eine Familie zu gründen

Die schlechte Wirtschaftslage und die hohe Arbeitslosigkeit Anfang der 1930er Jahre führen zu einer Perspektivlosigkeit junger Erwachsener. Derjenige, der ein geregeltes Einkommen und eine glückliche Familie hat, ist der Ausnahmefall. Auch wenn sich die jungen Menschen wünschen, eine Familie zu gründen und sesshaft zu werden, so erlauben es die Umstände doch nicht. Der zweiunddreißigjährige promovierte Germanist und Hauptfigur des gleichnamigen Romans, Fabian, ist dieser Umstand schmerzlich bewusst:

 „Wer von den Leuten, die heute dreißig Jahre alt sind, kann heiraten? Der eine ist arbeitslos, der andere verliert morgen seine Stellung. Der Dritte hat noch nie eine gehabt. Unser Staat ist darauf, dass Generationen nachwachsen, momentan nicht eingerichtet. Wem es dreckig geht, der bleibt am besten allein, statt Frau und Kind an seinem Leben proportional zu beteiligen. Und wer trotzdem andere mit hineinzieht, der handelt mindestens fahrlässig.“ (S. 84-85)

Der arbeitslose Gebildete

Nach dem Besuch eines Lokals werden Cornelia und Fabian kurz nach Mitternacht von einem gebildeten Menschen angesprochen, der arbeitslos ist. Es ist ihm peinlich zu betteln und er fragt zuerst nach der Zeit, bevor er um Geld bittet. Als ihm Fabian sogar mehr Geld gibt, als er sich erbeten hat, freut er sich, da er somit in dieser Nacht nicht bei der Heilsarmee übernachten muss (S. 110). Eine gute Ausbildung ist in Zeiten der Wirtschaftskrise keine Garantie mehr dafür, einen Arbeitsplatz zu bekommen, und bringt viele Menschen an den Rand des Existenzminimums.

Der arme Professor

Labude erzählt Fabian, dass er in der Bibliothek beobachtet hat, wie ein Professor der Sinologie festgenommen wurde. Er hat aufgrund finanzieller Nöte „jahrelang seltene Drucke und Bilder der Bibliothek gestohlen und verkauft“ (S. 55). Seine Festnahme erschüttert den Professor so sehr, dass er sich zuerst setzen muss, bevor er abgeführt werden kann. Beide Freunde sind von dieser Tatsache betroffen und Fabian merkt an: „Wozu lernt er erst Chinesisch, wenn er zum Schluss vom Stehlen lebt? Es steht schlimm. Jetzt räubern schon die Philologen.“ (S. 55). Selbst Professoren können aufgrund der Weltwirtschaftskrise nicht mehr alleine von ihrem Gehalt überleben.

Gewinne auf dem Rummelplatz

Fabian besucht an dem Abend, nachdem er von Cornelia verlassen wurde, den Rummelplatz „Onkel Pelles Nordpark“ im Norden von Berlin. Dies ist ein Vergnügungspark für arme Leute, in dem man Naturalien, wie Mehl oder Butter, gewinnen kann. Dort gibt es ein Glücksrad, bei dem man mit der richtigen Zahl einen Gewinn erhält. Die Menschen gewinnen dort ein Pfund Würfelzucker oder ein Viertelpfund Bohnenkaffee (S. 187). Der Hauptgewinn besteht aus fünf Pfund Weizenmehl, einem Pfund Butter, einem dreiviertel Pfund Bohnenkaffee oder einem dreiviertel Pfund magerem Speck (S. 188).

Das Mädchen, das mit ihrem Los für einen Groschen ein Pfund Butter gewinnt, freut sich sehr über diesen in dieser Zei...

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