Gesellschaftskritik
Historische Unstimmigkeiten
Gerhart Hauptmanns Drama »Die Weber« hat zu einem verzerrtenhistorischen Bild der Proteste beigetragen, indem es die Beweggründe der Verzweiflung und des Hungers in den Vordergrund rückte. Dem Autor wird daher vorgeworfen, dem Weberaufstand das Gesicht einer ‚Hungerrevolte‘ verliehen und somit zu dessen Mythenbildung beigetragen zu haben (vgl. Abschnitt „Motive des Aufstandes“).
Die realhistorische Forderung der Lohnerhöhung findet in den »Webern« zwar Erwähnung (vgl. S. 17, 70, 85) geht jedoch verhältnismäßig unter. Es wird nicht deutlich, dass die Weber nur jene Fabrikanten angegriffen haben, die zu niedrige Löhne zahlten, während alle anderen verschont blieben oder sogar für ihre gerechte Bezahlung gelobt wurden.
Bei Hauptmann überlagern die affektiven Beweggründe die ökonomischen Motive. Der Aufstand gleicht einem unmittelbaren Ausbruch angestauter Emotionen. Wut, Hilflosigkeit und Angst treiben die Weber auf die Straße. Figuren, wie Baumert, Ansorge oder Luise, machen dies in besonderer Weise deutlich: „ANSORGE schleudert den Korb in die Ecke, erhebt sich am ganzen Leibe zitternd vor Wut […].“ (S. 47).
Die Hungerrevolte
Tatsächlich stellt das Stück in epischer Breite die Facetten des Elends, des Hungers und der Verzweiflung unter den schlesischen Textilarbeiter dar. Das eindrücklichste Bild der »Weber« ist bis heute die menschliche Not mit all ihren düsteren Erscheinungsformen. Allein hierin, so scheint es, liegt das notwendige und ausreichende Motiv des Protestes begründet.
Hauptmann wollte mit seinem Drama Mitleid erregen und ein Bewusstsein für soziale Ungerechtigkeit schaffen. Eine Interpretation des Aufstands als ‚Verzweiflungstat‘ bzw. ‚Überlebenskampf‘ fußt auf diesem humanistischen Anspruch. Gleichzeitig verbirgt sich hinter der Fokussierung auf das menschliche Leid ein dramatischer Effekt, eine ‚bewegende Geschichte‘ also.
Der Dichter selbst betonte, vom „Elend in seiner klassischen Form“ fasziniert gewesen zu sein. Während seiner Studienreise wirkten die ärmlichen Weberhütten auf ihn „gleichsam beim ersten Blick anziehend“ und von besonderer „Schönheit, ja Größe“ (vgl. Kapitel „Epoche“, Abschnitt „Quellen – Die Reise durc...