Merkmale des Naturalismus im Werk
Einführung
Der Begriff »Naturalismus« beschreibt eine literarische Strömung, die sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Europa entwickelte. Ausgehend von Frankreich, Skandinavien und Russland, gelangte der Naturalismus Ende der 1870er Jahre nach Deutschland. Die Werke dieser Richtung sollten die Wirklichkeit möglichst naturgetreu schildern und den Menschen und seine Umgebung besonders detailliert darstellen. Nicht zuletzt sollte die naturalistische Kunst die kausalen Zusammenhänge zwischen den erbbedingten Anlagen eines Menschen und dem ihn prägenden sozialen Milieu beleuchten.
Die an den naturwissenschaftlichen Gesetzen orientierte Betrachtung des Menschen und seiner Umwelt wurde unmittelbar auf die Kunst übertragen. Der Dramatiker Arno Holz prägte die vielzitierte Formel „Kunst = Natur -x“. Demnach solle die Kunst eine möglichst exakte Abbildung der Realität gewährleisten. Der Faktor x markiert dabei die Abweichung von der Wirklichkeit durch darstellerische Unzulänglichkeiten. Diese Diskrepanz solle so gering wie möglich ausfallen. Überdies vertrete die Kunst den Anspruch, die empirische Wirklichkeit mithilfe künstlerischer Gestaltungsmittel nahezu ‚wiederherzustellen‘, anstatt diese lediglich zu kopieren.
Die Weltanschauung des Naturalismus geht auf die geistige Strömung des Positivismus zurück, welche maßgeblich durch den Philosophen Auguste Comte (1798 – 1857) geprägt wurde. Wissen und Realität waren demnach durch das sogenannte Positiv, d.h. mess- und beobachtbare Fakten, definiert. Auch die Milieutheorie des französischen Historikers und Philosophen Hippolyte Taine übte wesentlichen Einfluss auf den Naturalismus aus. Taine bestimmte den Menschen durch die drei Faktoren Abstammung, Milieu und historische Umstände. Diese und andere maßgebliche Theorien des 19. Jahrhunderts (wie Charles Darwins und Ernst Haeckels Abstammungslehre, Ludwig Feuerbachs Materialismus oder Ludwig Büchners Kraft- und Stofflehre) verdrängten das theologische und metaphysische Weltbild v...