Erzähler

Der namenlose Ich-Erzähler

Die Geschichte Der Verlorene des Autors Hans-Ulrich Treichel wird von dem kleinen Bruder als Ich-Erzähler berichtet. Er erinnert sich aus der Perspektive seiner Kindheit und Jugend während der 1950er/1960er Jahre an die Suche seiner Eltern nach seinem älteren Bruder Arnold, den er nie kennengelernt hat. Er lebt zum Zeitpunkt der Erzählhandlung mit seinen Eltern in einer nicht genannten Stadt in Ostwestfalen.

Die Mutter des Erzählers hatte ihr kleines Kind Arnold auf der Flucht aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten am 20. 01. 1945 in Panik einer fremden Frau in die Arme gelegt (S. 15). Sie wollte den Säugling so vor drohenden russischen Übergriffen schützen. Seit diesem Vorfall gilt der Erstgeborene als vermisst. 

In seiner Funktion als Ich-Erzähler bildet der jüngere Bruder somit auch selbst einen Teil des Geschehens. Alle handelnden Figuren werden vom Ich-Erzähler aus seiner subjektiven Sicht heraus geschildert. Die Darstellung des verlorenen Bruders basiert zunächst auf den Erzählungen der Mutter und einem Foto von Arnold als Kleinkind (S. 7ff.).

Das Alter des Ich-Erzählers wird in der Geschichte nicht genannt. Zu Beginn der Erzählung ist er noch ein Kind (S. 10), während der gezielten Suche nach Arnold und zum Todeszeitpunkt des Vaters befindet sich der Berichterstatter dann im jugendlichen Alter (S. 139). Da sein älterer Bruder „noch vor Kriegsende geboren worden und darum einige bedrohliche Jahre älter“ ist (S. 51), ist der Erzähler zur Zeit der Haupthandlung vermutlich zwischen 12 und 15 Jahren alt (siehe auch Kapitel Analyse: Orte und Zeit der Handlung).

Zum Aussehen des Erzählers werden im Buch nur zwei Informationen geliefert: Er ist „ein zu dick geratener pubertierender Knabe“ (S. 139) und trägt einen zumeist sehr kurzen „Fassonschnitt“ (Herrenhaarschnitt mit rasierten Seiten und längerem Deckhaar) (ebd.).

Das vorsichtige und fantasievolle Kind

Da sein älterer Bruder Arnold bereits vor seiner Geburt verloren ging und die Eltern keine weiteren Kinder mehr bekommen, wächst der Erzähler als Einzelkind auf. Er scheint auch keine Freunde zu besitzen, denn er spricht nur von Aktivitäten, die er allein unternimmt: Oft fährt er mit seinem Fahrrad durch den Ort und vertreibt sich die Zeit mit selbst ausgedachten Spielen. Er betrachtet zum Beispiel die Aufnahmen im Schaukasten des Fotogeschäfts und versucht, die Bilder den realen Menschen zuzuordnen: „Wetten, dass ich drei von den Personen kenne, die in dem Schaukasten ausgestellt sind. Zuweilen erhöhte ich auch auf vier oder fünf Personen.“ (S. 64).

Auch allein zu Hause lenkt das Kind sich mit selbst erfundenen Spielen ab: „Eine dieser Ablenkungen bestand darin, dass ich mich an das geöffnete Wohnzimmerfenster setzte, die Augen schloss und versuchte, die Typen der vorbeifahrenden Autos an ihrem Motorengeräusch zu erkennen.“ (S. 23). Außerdem unternimmt der Erzähler einsame Streifzüge durch das alte verwinkelte Fachwerkhaus, das er mit seinen Eltern bewohnt: „Es hatte mir Vergnügen gemacht, das Haus zu durchstreifen, so wie es mich vergnügte, den von Balken und Holzverstrebungen durchzogenen Dachboden aufzusuchen […]“ (S. 46). 

Abenteuerlustig verläuft sich der Junge in den langen Korridoren, ist überrascht von unerwarteten Treppenabsätzen und bezeichnet das Haus fantasievoll als „Zauberwald“ sowie als sein „Kindheitslabyrinth“ (S. 46). Manchmal bereitet das unübersichtliche Gebäude dem kindlichen Berichterstatter aber auch Angst: Als der neugierige Junge...

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