Schicksal und Zufall

Die falsche Telefonnummer (Stimmen)

Dass Ebling die Telefonnummer Ralf Tanners zugewiesen bekommt, ist einer Reihe von zufälligen unglücklichen Umständen geschuldet: Der Abteilungsleiter einer Firma für Telekommunikation hat eine Affäre. Um nicht entdeckt zu werden, schickt er seinen schlechtesten Mitarbeiter zu einer Konferenz (S. 179). Dieser Mitarbeiter, der internetsüchtige Blogger Mollwitz, trifft auf der Konferenz auf den von ihm verehrten Schriftsteller Leo Richter. Er schreibt, als er zurückkehrt, sofort einen langen Blogeintrag in einem Forum für Geschichten über Begegnungen mit Prominenten und kümmert sich nicht um seine Arbeit (S. 183).

Der Abteilungsleiter ist mit seinen privaten Problemen beschäftigt und Mollwitz befasst sich mit einem eigenen Interesse. Kein Angestellter des Mobilfunkunternehmens entdeckt ein paar Tage lang den riesigen Fehler: Die Firma hat eine Reihe aktiver Telefonnummern an Neukunden falsch weitergegeben.

Dem Techniker Ebling wird irrtümlich die Telefonnummer einer Person mit Vornamen Ralf zugewiesen. In ihm keimt durch das zufällige Ereignis jedoch die Hoffnung auf, ob es nicht sein Schicksal ist, eigentlich ein anderes Leben zu führen: „Womöglich war Ralfs Dasein ja immer schon für ihn bestimmt gewesen, vielleicht hatte nur ein Zufall ihre beiden Schicksale vertauscht“ (S. 17). Ebling glaubt also an das Konzept des Schicksals, allerdings auch daran, dass Zufall Einfluss auf das Schicksal ausüben kann. Ebling liegt mit seinem „Schicksal“ im Zwist: „Warum bekamen einige alles und andere wenig; manchen gelang so viel, anderen nichts, und mit Verdienst hatte das nichts zu tun” (S. 17).

Dass Ebling nicht daran glaubt, dass Erfolg und Ruhm mit Verdienst und eigenem Einsatz zu tun haben, sondern nur mit mehr oder weniger glücklicher Bestimmung, macht es ihm schwieriger, sein eigenes Dasein zu akzeptieren und zu ändern. Mit dem Glauben an das Schicksal, das ihn betrogen hat, kann er sich nur in Selbstmitleid wälzen.

Gott kann das Schicksal lenken (Rosalie geht sterben)

Die Geschichte „Rosalie geht sterben“ ist vom Tenor des Schicksals gesteuert, von dem Autor Leo Richter, der souverän darüber bestimmt, was mit seiner literarischen Figur Rosalie geschehen wird: Ihr Schicksal liegt buchstäblich in seinen Händen.

Als Rosalie plötzlich im Laufe der Handlung versucht, selbst zu entscheiden, was sie tun wird, greift der Autor ein. Sie möchte sich bei ihrer vermeintlich letzten Zugfahrt durch die Schweiz zum Beispiel die Landschaft ansehen, doch der Autor lässt sie einschlafen und die ganze Fahrt verpassen (S. 67).

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