Filmrezension
Zu den schauspielerischen Leistungen des Films zählt die Darstellung von Gauß und Johanna. Diese beiden verstehen, was ihre Figuren zusammentreibt und doch wieder voneinander abstößt. Katharina Thalbach als Gauß‘ Mutter ist einer der wenigen Glücksgriffe, mit denen es dem Film gelingt, den Humor des Buches zu erfassen. Bonpland, Büttner und viele andere wirken hingegen hölzern. Das größte Problem liegt jedoch bei Albrecht Schuch, der mit seinem jungen Humboldt kaum etwas anzufangen weiß und sich anscheinend erst in die Rolle des alten Mannes einfühlen kann. Die Schuld liegt jedoch nicht nur bei ihm. Im Vergleich zur Rolle von Gauß erscheint diejenige Humboldts von den Drehbuchautoren unterentwickelt. Ihm fehlt durch die fast völlige Streichung des älteren Bruders (Sebastian Brandes) eine wichtige Kontrastfolie und auch sonst scheint er im Film bis auf ausgestopfte Tiere und eine halbe Bergbesteigung nicht viel zu liefern. Wo ist seine Widerlegung des Neptunismus? Wo seine Revolutionierung der Kartografie? Wo sein diplomatisches Geschick? Und wieso wird das Motiv des Alterns unwürdig überdreht, indem Humboldt sich beim Treffen mit Gauß in die Hose macht? So wirkt er am Ende doch bloß wie ein stereotyper Vertreter desjenigen Adels, den der Film krampfhaft zu zeichnen versucht, wie z.B. Humboldts Mutter, die vor schuftenden Putzfrauen über den frisch geputzten Boden trabt, oder wie der als einfältig skizzierte Herzog von Braunschweig. Über diesen denkt eigentlich sogar Gauß im Roman: „im Vergleich zu den meisten anderen war er nicht einmal dumm.“ (S. 181). Hier folgt der Film dem ermüdenden zeitgenössischen Trend, die herrschenden Schichten als eingebildet und abgehoben darzustellen, und verschenkt dadurch leichtsinnig Tiefenpotenzial.
Viele Szenen laufen ins Leere: Die Kritik eines unerklärlichen Armeeoffiziers (Max Giermann) an Gauß‘ Siebzehneck und seiner generellen Einstellung zu Zahlen wirkt bedrohlich, ist aber nie wieder von Bedeutung. Wenn Humboldt verkündet, „endlich eins zu werden mit der Natur, von der ich als Kind immer geträumt habe“, und Gauß einer Prostituierten erklärt: „Es geht um eine neue Ordnung“, wirken diese Aussagen erzwungen und gekünstelt. Die Dialoge werden ihren Protagonisten nur äußerst selten gerecht: Die beiden Forscher kennen sich gerade ein paar Stunden, da nennt Humboldt Gauß schon „lieber Freund“ und stellt die Frage, „wer von uns beiden eigentlich mehr gereist und wer immer zu Hause geblieben ist“ – eine Erkenntnis, die im Roman Monate braucht, um in Humboldt zu reifen. Auch die selbstverständliche, feine Ironie des Romans gerät im Film zu gestellten, irritierenden Szenen, über die sich kaum lachen lässt: Der Tod von Humboldts Mutter, der Eingeborenenangriff auf Bonpland, Gauß‘ Zahnbehandlung, Bonplands Halluzinationen am Berg. Die 3D-Effekte sind nett anzusehen, helfen der Handlung aber nicht weiter. Durch ihre Glattheit wirkt der Urwald vielmehr abgeschottet von Humboldt; dabei ist doch gerade er der Forscher des unmittelbaren Kontakts.
Mehr Effekte, wie z.B. die sich aus Kreidestaub formende Formel in Gauß‘ Klassenzimmer oder die animierte Überseefahrt Humboldts, hätten hingegen dem Film ein Stück poetische Magie verleihen können, kommen jedoch auch nie wieder zum Einsatz. Das größte Problem jedoch ist Folgendes: Auch im Buch passiert im Grunde ‚nicht viel‘, aber es wird mit beachtlichem Stil und großem Können erzählt. Dem Film gelingt dies nicht, daran ändert auch die Erzählstimme von Daniel Kehlmann persönlich nichts, die bloß stört und immer dann zum Einsatz kommt, wenn etwas erklärt werden soll. Alles in allem ist der Film Die Vermessung der Welt leider eine typisch deutsche zeitgenössische Buchverfilmung, die völlig uninspiriert versucht, aus einem erfolgreichen literarischen Werk noch mehr Geld zu machen. Über den grandiosen Unterhaltungswert des Romans soll diese Kritik jedoch nicht hinwegtäuschen. Zwar lässt sich dies nicht immer behaupten, doch in diesem Falle gilt tatsächlich: Sich den Film anzusehen, ist bei Weitem kein adäquater Ersatz für die Lektüre der Romanvorlage.