Altern und Tod

Der Tod als Begleiter

Das Altern und der Tod sind Motive, die in Die Vermessung der Welt immer wieder auftauchen und metaphorisch den späteren wissenschaftlichen Niedergang von Humboldt und Gauß vorwegnehmen. So muss Humboldt bereits als Kind mehrere Mordversuche durch seinen älteren Bruder überstehen; im Gegensatz dazu ist es jedoch gerade der frühe Tod seiner kontrollversessenen Mutter („er sah die erste Tote seines Lebens“, S. 42), der es ihm erlaubt, seine Südamerikaexpedition anzutreten. Auf dieser Expedition sind es die „Leichen“ (S. 150), die Humboldt mit Bonpland aus einer Höhle birgt, die ihm für kurze Zeit den Argwohn der Einheimischen einbringen und somit seine Weitereise gefährden. Doch hiervon lässt sich der junge Forscher nicht aus der Bahn werfen: Mit der Behauptung, es handle sich um die Skelette von „Krokodilen und Seekühen“ (S. 151), triumphiert der Lebende hier über die Macht der Toten, ebenso wie später mit der dreisten Selbstlüge, dass er im Urwald niemals „Menschenfleisch gegessen habe“ (S. 168): Der Tod blickt Humboldt ins Gesicht, doch er weiß ihn abzuwehren.

Der Tod von Humboldts Schwägerin ist ein weiteres Schlüsselerlebnis. Er führt Humboldt und seinen älteren Bruder zusammen und lässt sie nach den Rivalitäten ihrer Kindheit endlich so etwas Ähnliches wie eine gesunde Beziehung führen. Und doch machen all diese Begegnungen mit dem Tode Humboldt deutlich, dass alles im Leben letztlich seinen Preis hat. Wie eng Leben und Sterben hierbei miteinander verwoben sind, stellt Humboldt sogar selbst fest, wenn er betont, der Tod sei eben „nicht erst das Verlöschen und die Sekunden des Übergangs, sondern schon das lange Nachlassen davor, jene sich über Jahre dehnende Erschlaffung; die Zeit, in der ein Mensch noch da ist und zugleich nicht mehr und in der er, ist auch seine Größe lange dahin, noch vorgeben kann, es gäbe ihn.“ (S. 331). Diese Worte beschreiben exakt das, was mit Humboldt in seinen letzten Jahren geschieht: Nachdem seine geplante Indienexpedition nicht zustande kommt, muss er auf seiner fremdbestimmten Russlandreise erkennen, dass er inzwischen nach veralteten Methoden arbeitet, „als wäre man in einem Geschichtsbuch versetzt“ (S. 346). Auch körperlich i...

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