E-Mail-Roman/Briefroman - Vergleich mit Die Leiden des jungen Werthers

Entstehung

Goethe wurde zu seinem Werther-Roman durch persönliche Erlebnisse inspiriert: Der Dichter verarbeitete in dem Werk seine unglückliche Liebe zu Charlotte Buff sowie den Selbstmord seines Freundes Karl Wilhelm Jerusalem. Dieser hatte sich in eine verheiratete Frau verliebt und genau wie der Werther im Roman mit einer Pistole erschossen.

Goethe wollte mit seiner Schilderung eines Selbstmordes aus Liebeskummer ein abschreckendes Beispiel liefern. Leider erreichte er zur damaligen Zeit das Gegenteil: Seine überzeugende literarische Darstellung veranlasste einige junge Menschen, die sich in der gleichen Situation wie Werther befanden, ihrem Leben ein Ende zu setzen.

Daniel Glattauer hat in seinem E-Mail-Roman zwar kein konkretes persönliches Erlebnis verarbeitet, jedoch lassen sich seine eigenen Vorlieben in dem Buch erkennen. So bilden Liebesgeschichten nicht nur das Hauptthema seines schriftstellerischen Werks, auch hat er viele Songtexte über die Liebe verfasst. Wie Glattauer im Interview mit der FAZ am 16. Apr. 2009 berichtet, mag er das Mailen. Es erleichtere ihm, anderen Menschen Dinge mitzuteilen, die er „von Angesicht zu Angesicht“ nicht sagen würde. Glattauer „glaubt, dass man die Sensibilität eines anderen Menschen aus Mails herauslesen kann, sein Temperament und vielleicht auch etwas über den Charakter“.

Auf die Frage, warum er die E-Mail-Form anstelle des Briefes verwendet habe, antwortet der Autor in einem Interview mit dem Onlinemagazin der Süddeutschen Zeitung „Jetzt“ am 04.02.2009, er selbst schreibe auch keine Briefe mehr. Als Mitglied unserer heutigen, schnelllebigen Gesellschaft legt Glattauer Wert auf Spontaneität und bietet somit dem Leser viel Raum zur Identifikation: „Der Brief krankt an der Zeitverschiebung, die E-Mail lebt von der Unmittelbarkeit. Der Brief überliefert Gefühle von gestern. Die E-Mail schafft es, gleichzeitiges Empfinden zu übertragen. Briefe sind langsam und träge, Emails quirlig und spontan“.

Inhalt

Beide Romane verarbeiten einen Dreieckskonflikt: Als Leo und Emmi sich über den schriftlichen Austausch von E-Mails ineinander verlieben, wissen sie von Anfang an, dass diese Liebe vermutlich keine Zukunft haben kann. Emmi scheint glücklich mit Bernhard verheiratet zu sein und ist somit für den alleinstehenden Leo tabu. Dieser Konflikt zwischen den drei Hauptprotagonisten stellt den zentralen Inhalt des Romans dar.

Anders verhält es sich in Goethes Briefroman. Zwar liegt auch ihm die Geschichte einer unerfüllbaren Liebe zugrunde (Werther verliebt sich in Lotte, die bereits mit Albert verlobt ist), hingegen behandelt der Autor zudem das Thema der Selbsttötung. Außerdem fließen mit den ausführlichen philosophischen Betrachtungen Werthers in seinen Briefen auch allgemeine Themen in den Roman mit ein. Probleme, wie die Selbstverwirklichung des Menschen, oder sein Anspruch auf Freiheit werden reflektiert und regen den Leser zum Nachdenken an.

Form

Das Werk Die Leiden des jungen Werthers entsteht im 18. Jahrhundert und besteht aus zahlreichen Briefen, die Werther seinem Freund Wilhelm schreibt. Gut gegen Nordwind erscheint 2006 und enthält fast 800 E-Mails. Obwohl zwischen beiden Werken 235 Jahre liegen, weisen sie in Bezug auf Inhalt, Form und Rezeption einige Gemeinsamkeiten auf.

Goethes Roman besteht aus 92 Briefen, die in zwei Bücher unterteilt sind. Sämtliche Briefe wurden von der gleichen Person verfasst: Der Protagonist Werther schreibt sie von Mai 1971 bis Dezember 1972 hauptsächlich an seinen Freund Wilhelm. Im Gegensatz zu diesem schriftlichen Monolog ist Glattauers E-Mail-Roman Gut gegen Nordwind als Dialog angelegt. Die Hauptfiguren Leo und Emmi schreiben sich überwiegend im stetigen Wechsel die vielen E-Mails, ebenfalls über einen Zeitraum von circa eineinhalb Jahren.

Sowohl die Briefe als auch E-Mails variieren stark in ihrem jeweiligen Umfang. Während manche Briefe nur wenige Zeilen enthalten, beschränken sich einige der E-Mails sogar auf einzelne Worte (S. 81). Andere hingegen erstrecken sich ebenso wie viele Briefe Werthers über mehrere Seiten (S. 180, 189). Die Briefe Goethes sind jeweils mit einem Datum versehen, besitzen jedoch keine Anrede oder Grußformel.

Glattauers E-Mails tragen teilweise Betreffzeilen, fast immer jedoch „AW“ oder „RE“- Hinweise. Oft beginnen und enden sie mit Grußformeln, wie „Liebe Emmi“, „Alles Liebe, Leo“ (S. 74). Den technischen Möglichkeiten entsprechend sind alle E-Mails mit detaillierten Zeitangaben, wie „45 Sekunden später“, „zwei Tage später“ (S. 116) versehen und ermöglichen so im Gegensatz zu den Briefen eine exakte zeitliche Einordnung in der Abfolge.

Gut gegen Nordwind erzählt seine Geschichte ganz ohne die Einmischung des Autors oder Erklärungen eines Erzählers. Die E-Mails stehen für sich und es gibt nur eine Erzählebene. Die Handlung spielt in der Erzählgegenwart und wird chronologisch berichtet.

Anders verhält es sich beim Werther: Der Roman enthält drei Erzählebenen, eine davon spielt in der Vergangenheit. Werther schildert seine Erlebnisse in Rückble...

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