Fremdheit und Diskriminierung
Die Einquartierung der Vertriebene
Im ersten Kapitel des Romans Landnahme schildert der Ich-Erzähler Thomas Nicolas die Situation der aus den ehemaligen Ostgebieten vertriebenen Deutschen in Guldenberg: „Unmittelbar nach dem Krieg war die Stadt mit ihnen überfüllt. (…) Jetzt, fünf Jahre nach dem Krieg, wohnten noch immer viele Umsiedler bei uns und schienen in Guldenberg bleiben zu wollen, zumal die neue Grenze im Osten wohl endgültig war und damit die deutschen Provinzen hinter der Oder polnisch bleiben würden und diese Leute nie wieder in ihre Heimat zurückkehren könnten.“ (S. 16).
Anschließend erläutert Nicolas, wie die sächsische Kleinstadt mit der Hilfe staatlich angeordneter Maßnahmen konkret versucht, das Flüchtlingsproblem in den Griff zu bekommen: „Sie waren in Wohnungen eingewiesen worden, deren Besitzer nur unter dem Druck der städtischen Verordnung und der Polizei ein oder zwei Zimmer ausgeräumt hatten, um sie den Fremden widerwillig zu überlassen.“ (S. 16).
Zudem liegt am Stadtrand von Guldenberg die sogenannte Schnittersiedlung, ein Getto, in dem viele Umsiedler aus dem heutigen Polen leben. Die Siedlung besteht aus ehemaligen Kasernengebäuden und wird von den Guldenbergern nur als „die Polensiedlung“ bezeichnet (S. 30).
Am Beispiel des alten Haber erfährt der Leser, nach welchen Kriterien die Vertriebenen ursprünglich auf die deutschen Städte verteilt wurden: „Nach Bad Guldenberg war er gekommen, weil er bei der Einreise den deutschen Beamten nicht eine einzige Adresse von Verwandten angeben konnte, die ihn und seine Familie hätten aufnehmen können, denn seine gesamte Verwandtschaft hatte bis zum Ende des Krieges in Schlesien gelebt, und ihre neuen Wohnorte kannte er nicht. Schließlich gab man ihm Papiere für unsere Stadt, weil laut einer Liste in Guldenberg Tischler benötigt würden.“ (S. 23) (siehe auch dazu Epoche „Die Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten nach 1945“).
Vorurteile und Ablehnung
Es erweist sich als offensichtlich in Christoph Heins Roman Landnahme, dass die meisten Guldenberger den Flüchtlingen eher ablehnend gegenüberstehen, denn viele Bürger werden dazu gezwungen, ihren privaten Wohnraum mit den Umsiedlern zu teilen, und müssen sich aufgrund dessen persönlich einzuschränken. Außerdem müssen die Vertriebenen oft als Sündenböcke bei Straftaten herhalten, „…denn von den anderen Familien hörte ich schlimme Geschichten über die Flüchtlinge. Sie würden Strom klauen und Lebensmittel aus dem Eisschrank und dem Keller und wären nicht besser als die Zigeuner.“ (S. 36).
Die geschilderten Vorkommnisse machen deutlich, wie schwer das Leben für die Vertriebenen in ihrer neuen Heimat sein konnte. Sie wurden aufgrund ihrer fremdklingenden Sprache sowie ihrer Armut von den Einheimischen abgelehnt, die während der entbehrungsreichen Nachkriegsjahre selbst nur wenig besaßen. Nicolas erinnert sich noch genau an den ersten Schultag mit Bernhard Haber, als dieser von Fräulein Nitzschke dazu aufgefordert wird, sich vorzustellen:
„Was wir sofort begriffen hatten, war, dass er einen dieser rauhen, ostdeutschen Dialekte sprach.“ (S. 16). Der Erzähler kann außerdem bereits als Schüler erkennen, welche seiner Kameraden ihrem Aussehen nach zu den Vertriebenen gehöre...